Wenn man der Initiative «für eine massvolle Zuwanderung» etwas zugute- halten möchte, dann ihre Präzision: Die Personenfreizügigkeit tritt innerhalb von zwölf Monaten nach Annahme durch Volk und Stände ausser Kraft.

Wird die Initiative angenommen, muss der Bundesrat das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union auf dem Verhandlungsweg innert Jahresfrist ausser Kraft setzen. Damit nimmt die Initiative das Ende des bilateralen Wegs in Kauf: Die EU könnte die Guillotine-Klausel nutzen, was neben der Personenfreizügigkeit auch alle anderen Pakete der Bilateralen I ausser Kraft setzen würde. Die EU ist unsere wichtigste Handelspartnerin: Sie macht sechzig Prozent des Schweizer Handelsvolumens aus. Das Wegfallen der Bilateralen I würde wichtige Bereiche be- einträchtigen: die Forschung, die Landwirtschaft, den Verkehr, die Zulassung unserer Exportprodukte oder den verbesserten Zugang zu den europäischen öffentlichen Beschaffungsmärkten.

Als Tessinerin weiss ich, dass Grenzen Missgunst gegenüber Menschen und Produkten von anderswo begünstigen können. Doch diese Missgunst bringt den Bewohner*innen der Schweiz keine Vorteile. Sie dient höchstens dem Idealbild der SVP: einer abgeschotteten Schweiz ohne soziale Sicherheiten.

Verheerende Konsequenzen

Die EU zeigte sich in den Brexit- Verhandlungen mit Grossbritannien unnachgiebig. Insbesondere vor diesem Hintergrund würde eine Annahme der Initiative den Bundesrat vor eine unmögliche Aufgabe stellen.

Die Initiative abzulehnen heisst nicht, die Augen vor Problemen zu verschliessen, die die Globalisierung mit sich bringt. Es ist klar: Nicht alle profitieren von den offenen Märkten. Diese werden zunehmend als bedrohlich und schädlich empfunden – in wirtschaftlicher aber auch in ökologischer Hinsicht.

Isolation ist keine Option

Die Kündigungsinitiative führt zu grossen Unsicherheiten – und das in einer Zeit, in der wir die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern unbedingt verstärken sollten. Nur so können wir die grossen, dringlichen und aktuellen Fragen gemeinsam meistern: die Klimakrise, soziale Ungleichheiten und den Umbau hin zu einer nachhaltigen und verantwortungsbewussten Wirtschaft.

Abschottung hingegen ist kontra- produktiv. Sie verstärkt Ungleichheiten und hindert uns daran, wirksame Lösungen zu finden, um auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren. Abschottung steht im Zentrum der Kündigungsinitiative – lehnen wir sie deshalb klar ab.

Greta Gysin
Nationalrätin TI
@gretagysin