«Die Veränderungen passieren enorm schnell»
Beim Bergsturz von Blatten verschütteten und zerstörten rund 10 Millionen Kubikmeter Eis und Fels das Bergdorf Blatten. Was das mit der Klimakrise zu tun hat, erklärt die WSL-Klimaforscherin Martine Rebetez*.
Hat Sie, als Klimatologin, die Katastrophe in Blatten überrascht?
Nicht wirklich überrascht, denn wir wussten, dass ein solches Ereignis möglich war. Aber das Ausmass hat mich doch schockiert.
Wie hängt das mit der Klimakrise zusammen?
Bei einem einzelnen Ereignis ist es immer schwierig, auf die Schnelle genau zu sagen, wieviel die höheren Temperaturen dazu beigetragen haben. Aber die Faktenlage ist klar: Wir beobachten seit Jahrzehnten eine starke Häufung solcher Ereignisse: insbesondere Bergstürze, Steinschlag und Murgänge. Die Ursache dafür ist die rasche Destabilisierung in den alpinen Zonen – insbesondere im Bereich der Gletscher und des Permafrosts. Diese Veränderungen gab es schon früher, aber aktuell passieren sie enorm schnell.
Womit hängt das zusammen?
Die stetige Erwärmung der Atmosphäre ist der Hauptgrund. Sie lässt das Eis in den Gletschern und im Permafrost immer schneller schmelzen. Daneben gibt es mehr Extremniederschläge. Und schliesslich steigt die Schneefallgrenze. Das führt dazu, dass Niederschläge öfter in grossen Mengen sofort abfliessen und Überschwemmungen und Murgänge auslösen.
Heisst das, dass das Leben in den Alpen in Zukunft unmöglich wird?
Im Gegenteil! Wir müssen dieses Leben und die Siedlungen erhalten – auch aus Eigeninteresse, denn die Temperaturen in den Niederungen werden immer höher. Die bewohnten Täler in den Alpen werden als Rückzugsort immer wichtiger. Das bedeutet auch, dass wir sie vor den Folgen der Klimakrise schützen müssen.
Wie genau?
Am wichtigsten ist: Wir müssen so schnell wie möglich aus den Fossilen aussteigen. Die dafür nötigen Technologien sind da und sie sind günstig. Doch die Erdöllobby verzögert diesen Fortschritt. Das ist eine Katastrophe für die Menschheit.
Und was ist mit den Folgen, die bereits heute sichtbar sind?
Studien sind sich einig: Die Kosten des Nichthandelns sind viel höher als die Kosten der sofortigen Veränderung und Anpassung. Zum Beispiel im Gesundheitsbereich. Die Milliarden für die Fossilen würden wir besser in die Transformation investieren. Wir müssen Infrastrukturen, Gebäude und Menschen schützen – und es braucht Investitionen, um die gesellschaftliche Transition sozial abzufedern.
*Martine Rebetez ist Klimaforscherin an der Universität Neuenburg. Sie forscht unter anderem zu den Auswirkungen der Klimakrise auf die alpinen Regionen.
Mehr Mittel für den Klimaschutz
Tödliche Hitzewellen, schmelzende Gletscher, auftauender Permafrost. Wie Martine Rebetez im Interview erklärt, gefährdet die Abhängigkeit von Öl und Gas unsere Zukunft. Für die Transformation braucht es sinnvolle und soziale Investitionen. Die im Februar 2024 eingereichte Klimafonds-Initiative sorgt dafür: Mit jährlich 0.5 bis 1% des BIP aus einem staatlichen Fonds. Die Initiative fördert zudem das Energiesparen, einheimische Alternativen und Versorgungssicherheit.
Doch die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat und im Nationalrat steckt den Kopf in den Sand. Er lehnt die Klimafonds-Initiative kompromisslos ab. Obwohl die Bevölkerung mit dem Stromgesetz und dem Klimaschutzgesetz verbindliche Klimaschutzziele festgelegt hat. Mit den bislang beschlossenen Massnahmen erreicht die Schweiz nicht einmal das von der Stimmbevölkerung beschlossene Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050. Dieser Realitätsverweigerung können wir mit einem starken Abstimmungskampf und einem Erfolg an der Urne begegnen.
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