Interview erschienen im VPOD-Magazin, April 2019, Seite 11-13

VPOD-Magazin: Regula Rytz, ich weiss, dass es trotz der Parole auch in unserem Verband mancherorts Zweifel am Nein zu STAF gibt. Stell dir also vor, ich wäre ein VPOD-Mitglied aus dem Ja-Lager, das es umzustimmen gilt. Dieses Mitglied sagt zum Beispiel: Bei einem Nein kommen wir nicht voran mit der Ächtung der verpönten Steuerprivilegien. Die bleiben dann ja bestehen – und die Schweiz landet auf der schwarzen Liste der Steuersünder.

Regula Rytz: Wir haben bis 2021 Zeit und bleiben bis dahin, wo wir heute sind: auf der grauen Liste. Denn die Schweiz ist – aus OECD-Sicht – «too big to be listed», zu wichtig, als dass man die Verbindungen zum Finanzplatz so einfach kappen könnte. Aber selbstverständlich müssen wir diese ungerechten Steuerprivilegien so rasch als möglich entsorgen. Ein Nein zu STAF macht den Weg frei für eine Vorlage, die endlich umsetzt, was die Bevölkerung schon lange will: eine Korrektur der Steuerdumping-Politik, aber ohne Steuerausfälle. Das deutliche Nein zur Unternehmenssteuerreform III (USRIII) wird ja mit der jetzigen Vorlage schlicht nicht respektiert. Niemand kann mir sagen, wie Kantone und Gemeinden ein Loch von 2,1 Milliarden Franken stopfen wollen.

VPOD-Magazin: Aber STAF ist doch besser als die USRIII. Die Dividendenbesteuerung auf Bundesebene wird erhöht, zum Beispiel.

Regula Rytz: Es gab einige Verbesserungen, richtig. Aber sogar Bürgerliche sprechen von «altem Wein in neuen Schläuchen». Auch der SGB hat die neuen Vorschläge von Ueli Maurer vor einem Jahr noch in die Pfanne gehauen. Jetzt, wo man die Vorlage mit einer AHV-Finanzspritze angereichert hat – im Wissen, dass sie sonst an der Urne chancenlos ist –, soll das alles vergeben und vergessen sein? Es geht erneut um Steuerausfälle von über 2,1 Milliarden Franken. Und auch diese neue Vorlage heizt den ungesunden Steuerwettbewerb weiter an, sowohl innerhalb der Schweiz als auch international.

VPOD-Magazin: Die Senkung der Unternehmensgewinnsteuern geschieht auf der kantonalen Ebene und muss auch dort bekämpft werden, tönt es aus dem linken Ja-Lager.

Regula Rytz: Genau. Doch nur im Kanton Bern haben es Grüne, SP und Gewerkschaften letzten Herbst gemeinsam geschafft, eine schädliche Unternehmenssteuersenkung zu Fall zu bringen. Jetzt bleibt Bern bei seinen vergleichsweise hohen Unternehmenssteuern – und gerät zunehmend unter den Druck der Nachbarkantone. Solothurn will den Gewinnsteuersatz für Unternehmen auf 13 Prozent senken – und wird also in die gleiche Falle laufen, in die schon Obwalden oder Luzern getreten sind. Am Ende der Tiefsteuer-Fahnenstange steht die Feststellung, dass die Staatsausgaben nicht mehr finanzierbar sind. Man verordnet Zwangsferien an den Schulen …

VPOD-Magazin: … und man baut im Sozialbereich dramatisch ab.

Regula Rytz: Ebenso dramatisch ist, dass man die Steuern kaum mehr hochkriegt, wenn sie einmal im Keller sind. Aus Konkurrenzgründen gelte es, jetzt noch diese und jene und dann nochmals eine Durststrecke zu überwinden, flöten die Bürgerlichen. Dabei verfolgen sie eine knallharte Agenda: Rückbau der staatlichen Leistungen, Rückbau der Sozialausgaben, Rückbau des Service public. Damit waren sie lange sehr erfolgreich – bis zur USRIII. Diese Abstimmung markiert eine Trendwende. Und darum ist es umso schlimmer, dass jetzt das gleiche Konzept nochmals in Geschenkverpackung vorgelegt wird.

VPOD-Magazin: Aber der Druck auf die kantonalen Unternehmenssteuern bleibt ja auch bei einem Nein zur STAF bestehen.

Regula Rytz: Bern hat gezeigt: Wir können das aufhalten, wenn wir zusammenstehen. Bedenklich aber ist die neue Logik, wie sie vom Kanton Waadt vorgelebt wurde: die Koppelung von hohen Steuersenkungen mit sozialen «Akzeptanzförderungsmassnahmen». Dabei kann man den gleichen Franken nur einmal ausgeben.

VPOD-Magazin: Das geht jetzt an die Adresse des neuen SGBPräsidenten, der diese Politik als Regierungsrat verantwortet.

Regula Rytz: Die dahinterstehende Philosophie funktioniert nicht. Die Gemeinden im Kanton Waadt mussten für 2019 die Budgets kürzen und planen Steuererhöhungen für die ganz normalen Leute. Das ist doch absurd!

VPOD-Magazin: Das ist ja genau die Politik der aktuellen Regierung Salvini/Di Maio in Italien. Sozialstaat auf Pump …

Regula Rytz: …, was auf Dauer einfach nicht aufgehen kann. Auch im Tessin wurde eine Steuerentlastung für Unternehmen und Reiche mit mehr Geld für Kitas und Kinderzulagen versüsst. Am Schluss stimmten nur 50,1 Prozent dem Deal zu. Opposition gegen solche Päckli ist ungeheuer schwer. Dabei ist die Steuerbelastung als solche ja gar nicht das Problem. Wenn jetzt beispielsweise Ypsomed, eine Medizintechnikfirma in Burgdorf, mit dem Umzug nach Solothurn droht, dann begründet sie das nicht damit, dass sie die Berner Steuern nicht zahlen könnte. Sondern damit, dass es in Solothurn mit der geplanten Tiefsteuerstrategie einfach billiger wird. Dabei ist doch genug Geld vorhanden – genug für die Finanzierung eines Sozialstaats, der diesen Namen verdient, für die AHV, für eine gute Bildung, für Kultur, für öffentliche Infrastruktur. Allein in diesem Frühling werden in der Schweiz 100 Milliarden Franken an Dividenden ausgeschüttet. 100 Milliarden! 40 davon von SMI-Firmen. Von diesem Geld fliesst ein grosser Teil ab an Aktionärinnen und Aktionäre im Ausland. Statt den Ertrag der Arbeit gerechter zu verteilen, verschärft die STAF die Ungleichheit.

VPOD-Magazin: Es gibt immerhin eine Bundesmilliarde, die den Kantonen bzw. den Kommunen zur Kompensation der Verluste zur Verfügung gestellt wird.

Regula Rytz: Hier muss man zuerst festhalten, wie ungleich dieses Geld verteilt wird. Jene Kantone, die beim Steuerdumping an vorderster Front mitmachen, werden belohnt. Das einwohnerstarke Bern bekommt gerade so viel wie der Kanton Zug, wo man es mit der Ansiedelung von Statusgesellschaften besonders bunt getrieben hat. Nochmals: Ich kritisiere die Logik – oder besser Unlogik – hinter dieser Reform. Wenn die Unternehmensgewinne zunächst mit Sonderinstrumenten kleingerechnet und dann auch noch niedriger besteuert werden, dann führt das langfristig zu einer Erosion der Steuererträge. Und das können wir uns einfach nicht leisten. Nochmals Solothurn als Beispiel: Dort werden heute 96 Prozent der Unternehmen normal besteuert. Und genau für sie will der Kanton jetzt den Steuersatz von 21 auf 13 Prozent senken. Dadurch entfallen 87 Millionen Franken an Steuereinnahmen – jedes Jahr. Nur um gegenüber dem Pharmasitz Basel konkurrenzfähig zu sein?

VPOD-Magazin: Kein Zweifel: Der Steuerwettbewerb ist schlimm und treibt üble Blüten. Aber jetzt geht es bei STAF ja auch um eine Finanzspritze an die AHV. Da gibt es zwei Haltungen. Man kann a) sagen: Das ist halt Politik – ein Geben und ein Nehmen. Und diese 2 Milliarden für die AHV, die da auf dem Tisch sind, lassen wir gewiss nicht liegen. Oder man markiert b) die heilige Jungfrau von Orléans, besteht auf der reinen Lehre und geht lieber in den Feuertod, als mal eine etwas gruusige Kröte zu schlucken.

Regula Rytz: Das hat mit Jeanne d’Arc nun wirklich gar nichts zu tun! Denn erstens zeigt die Verknüpfung mit der AHVFinanzspritze ja deutlich, dass eine «nackte» Steuerreform wegen der Ausfälle bei Bund und Kantonen chancenlos wäre. Und zweitens ist und bleibt der Deal ein Weg in die Sackgasse. Jetzt wird dekoriert und verziert und mit Schlagrahm garniert. Aber dass die AHV immer mehr in Schieflage gerät, hat den genau gleichen Grund wie der zunehmende Finanzbedarf der öffentlichen Hand in den Bereichen Gesundheit und Soziales – nämlich die demografische Entwicklung. Wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht, dann belastet das die AHV – und gleichzeitig brauchen wir mehr Heimplätze, mehr Spitex, mehr Pflege, mehr Betreuung, mehr EL. Da kann man unmöglich gleichzeitig in vielen Kantonen und Gemeinden die Steuern senken. Genau das ist aber die Folge der STAF.

VPOD-Magazin: Immerhin ergäbe sich bei der AHV auf diese Weise eine Verschnaufpause. Der enorme Druck von roten Zahlen wird mindestens verzögert.

Regula Rytz: Stimmt. Ich habe deshalb im Parlament versucht, die Vorlagen aufzutrennen, sogar mit einem Vorschlag, der den Deal-Befürworterinnen und -Befürwortern weit entgegenkam: getrennt abstimmen, aber die Vorlagen verknüpft lassen. Dann wäre in der Abstimmung wenigstens klar geworden, wo die Bevölkerung steht. Aber eigentlich wissen wir es ja auch so: Wir stimmen im Mai über ein linkes Referendum gegen die Steuerreform ab; wir haben 55000, die AHV-feindlichen Jungbürgerlichen nur lächerliche 5000 Unterschriften eingereicht. Hat das Parlament auch nur ein Minimum an Anstand, dann wird es nach einem Scheitern der STAF umgehend den AHV-Teil der Vorlage beschliessen. Das braucht nicht länger als ein paar Monate Zeit.

VPOD-Magazin: Du sprichst von diesem Parlament? You dream, du …

Regula Rytz: Die AHV-Finanzspritze wird heute von CVP bis FDP über den grünen Klee gelobt. Das ist ein schöner Nebeneffekt unserer Kampagne. Das Parlament steht beim wichtigsten Sozialwerk der Schweiz klar in der Verantwortung. Den Verfassungsauftrag der Existenzsicherung erfüllt die AHV schon lang nicht mehr. Wenn sie in einer Krise steckt, braucht es Notmassnahmen. Dazu muss auch eine CVP bereit sein. Und wenn die sozialen Kräfte bei den Wahlen im Herbst zulegen, können wir endlich wieder in die Offensive gehen. Wir müssen die Wahlen gewinnen, nicht Milliarden an Steuergeschenken verteilen!

VPOD-Magazin: Du hast im Nationalrat grundlegende Kritik an solchen Multipack-Vorlagen geübt: «Wenn es wirklich die neue Philosophie dieses Parlamentes ist, dass man alles irgendwie miteinander verknüpfen kann, dann haben wir ein grosses Problem, dann wird unsere Arbeit vollends unplanbar und chaotisch.» Wo verläuft denn die Grenze zwischen einem «anständigen» und einem «unhygienischen» Kompromiss?

Regula Rytz: Zwei Geschäfte zu verknüpfen, die inhaltlich keinen Zusammenhang haben, ist falsch. Kompromisse geht man innerhalb eines Gesetzes ein oder mindestens innerhalb des gleichen Themas. Die Verheiratung von sachfremden Geschäften ist eine Unsitte, die aus der Logik der Macht geboren ist: Wer kann, darf alles. Eine Demokratie aber braucht verbindliche Regeln. Schliesslich wird auch von Volksinitiativen verlangt, dass sie die Einheit der Materie respektieren.

VPOD-Magazin: Wer viele Dinge in eine Vorlage verwurstet, schafft auch grössere Angriffsflächen und die Möglichkeit, dass sich Nein-Stimmen kumulieren. So wie bei der Altersreform 2020.

Regula Rytz: Genau. Nicht nur die Willensäusserung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wird erschwert. Sondern auch die Interpretation des Ergebnisses. Klar, es gibt in den meisten Vorlagen Dinge, die einem gefallen, und anderes, das man eher ablehnt. Doch gerade in der Steuerpolitik war der Auftrag der Bevölkerung eindeutig: Eine soziale Gegenfinanzierung muss über diejenigen laufen, die von den Tiefsteuern profitieren. Also über Aktionäre und Unternehmen, die ja auch unsere Infrastruktur benützen und es schön finden, dass sie trotz der vielen Millionen, die sie besitzen, am Zürichsee ohne Leibwächter einen Kaffee trinken können. Wir dürfen diese Errungenschaften doch nicht zu einem Spottpreis verkaufen. Sie werden von Bauarbeitern und vom Pflegepersonal, von den ganz normalen Steuerzahlenden finanziert.

VPOD-Magazin: Aber liegt in diesem Trend zur Verknüpfung nicht auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit? Sogar eine Krise der direkten Demokratie? Weil: Wenn ich dem Volk die Sachen einzeln gebe, sagt es Ja zu allem Schönen und Nein zu den damit verbundenen Zumutungen. Es zeigt sich doch, dass so etwas Komplexes wie die Altersvorsorge in unserem Politsystem fast nicht zu reformieren ist. Auch bei der Umweltpolitik ist man gern bei einer 2000-Watt-Gesellschaft und einer Senkung der Erderwärmung dabei, lehnt dann aber die schmerzhaften Massnahmen ab.

Regula Rytz: Ich sehe das vor allem als Ausdruck der verhärteten Situation, wie sie hier im Parlament seit den letzten Wahlen besteht. Es gelingen keine guten Kompromisse mehr. Es werden Vorlagen produziert, die überfrachtet sind. Andere sind haar- und zahnlos, wenn sie aus dem Parlament kommen. Solche gerupften Hühner überzeugen dann niemanden mehr – und fallen durch. Wir brauchen also in diesem Wahlherbst dringend eine Korrektur.

VPOD-Magazin: Das sehe ich genau so. Dieses Parlament macht uns ja ungeheuer viel Arbeit, auch wenn wir nur die gröbsten Fehlentscheidungen per Referendum korrigieren.

Regula Rytz: Und die nächsten Angriffe sind schon in der Pipeline. Nach jeder Session eines oder zwei Referenden? Das ist für unsere Bewegungen fast nicht mehr zu stemmen – auch finanziell, wenn wir uns dann im Abstimmungskampf den Millionen von Economiesuisse gegenübersehen. Nur wenn wir das Parlament im Herbst wieder nach links verschieben, wird es auch unter der Bundeskuppel wieder konstruktivere Arbeit geben, vernünftige Kompromisse, die im Volk auch ohne Deals mehrheitsfähig sind.

VPOD-Magazin: Unser VPOD-Mitglied kommt zurück zur Anfangsfrage: Wie weiter bei einem Nein zu STAF?

Regula Rytz: Die AHV-Finanzspritze kann rasch eingeführt werden, denn von den Grünen bis zur FDP unterstützen alle diese Sofortmassnahme. Und dann müssen die heutigen Steuerprivilegien ersatzlos entsorgt werden. Die Unternehmen brauchen Zeit für die Umstellung, und natürlich kann der Bund den Kantonen und Gemeinden auch unter die Arme greifen. Aber neue Bundesmittel müssen mit einer Untergrenze für den kantonalen Unternehmenssteuersatz verbunden sein – 16 oder noch besser 18 Prozent, sonst dreht die Steuersenkungsspirale einfach weiter. Ich bin zuversichtlich, dass ein neues Parlament mit anderen Mehrheiten diese Kurve kriegt.