Grünes Grundeinkommen
Für einen nachhaltigen Gesellschaftsvertrag mit bedingungsloser Existenzsicherung
Ein Grundlagenpapier der GRÜNEN Schweiz 2024
Vorwort
Das bedingungslose Grundeinkommen führt zu einem grundlegend neuen Gesellschaftsvertrag. Durch die unbedingte Existenzsicherung sinkt der Druck zur Lohnarbeit und bringt dadurch mehr Selbstbestimmung und Freiheit.
Die Idee des Grundeinkommens ist schon mehrere hundert Jahre alt und hat verschiedenste Konzepte und Verständnisse hervorgebracht. Wir sehen uns einem humanistischen Verständnis des Grundeinkommens verpflichtet: Das Grundeinkommen soll die Grundbedürfnisse sichern und soziale und kulturelle Teilhabe ermöglichen. Wir GRÜNE sehen im bedingungslosen Grundeinkommen grosses Potential, um uns hin zu einer sozial gerechten und ökologischen Gesellschaft zu bewegen. Das bedingungslose Grundeinkommen kann durch grüne und soziale Steuerreformen ermöglicht werden und dazu beitragen, die Lebensgrundlagen für die nächsten Generationen zu sichern.
Die GRÜNEN Schweiz haben bei der Abstimmung über die Initiative zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens 2016 die JA-Parole gefasst. Grüne Mitglieder engagierten sich schon viele Jahre vorher in der Grundeinkommens-Bewegung und haben auch nach der Abstimmung nicht aufgehört, dafür zu kämpfen. Mit diesem Grundlagenpapier wollen wir die Grüne Vision eines bedingungslosen Grundeinkommens konkretisieren.[1]
1 Einleitung
Wir wollen ein bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) einführen, dessen Höhe so bemessen ist, dass es die Grundbedürfnisse sichert und soziale und kulturelle Teilhabe ermöglicht. Dadurch entsteht eine bedingungslose Existenzsicherung. Ein grünes Grundeinkommen, das durch weniger Wachstums- und Beschäftigungsdruck die Verantwortungsbereitschaft der Menschen stärkt und so zu einer sozial gerechteren und ökologisch bewussteren Gesellschaft führt. So entsteht ein nachhaltiger Gesellschaftsvertrag, der auf grünen und sozialen Steuerreformen gründet.
Folgend wird die Ausgangslage erläutert und Anspruchsberechtigte, Ökologie, Bemessungshöhe, Finanzierung und Einführung des Grundeinkommens dargelegt. Gleichzeitig halten wir fest, dass die Einführung eines bGE weitreichende Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Gesetzgebung mit sich bringen wird. Dabei stellen sich viele Detailfragen. Einige Details zur Ausgestaltung eines Grundeinkommens werden an dieser Stelle bewusst offengelassen und im Prozess einer schrittweisen Einführung demokratisch entschieden.
2 Ausgangslage: Arbeit neu denken
Die GRÜNEN gehen von einem bedingungslosen Anspruch auf ein Grundeinkommen aus. Das Grundeinkommen basiert auf der Idee der Gleichheit und Würde aller Menschen. Jeder Mensch hat ein bedingungsloses Recht auf ein würdevolles Leben und eine Teilhabe am Wohlstand. Dazu gehört die bedingungslose Erfüllung der Grundbedürfnisse wie Wohnen und Ernährung, aber auch die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Das bGE leistet zudem einen effektiven Beitrag zur Armutsbekämpfung.
Der Gedanke eines bGE beruht auf einem Menschenbild, das den Menschen zutraut, zu wissen, was ein wichtiger Beitrag für die Gesellschaft sein kann, und dass sie diesen intrinsisch motiviert umsetzen. Die unbezahlte und bezahlte Arbeit muss für sie nicht im Sinne einer Beschäftigungswirtschaft organisiert werden. Mit einem bGE brauchen Tätigkeiten keine Anordnungen von oben, sondern entstehen von unten.
Menschen, die keiner Lohnarbeit nachgehen, leisten sehr wichtige Beiträge in unserer Gesellschaft. Beispielsweise erziehen sie die nächste Generation, pflegen unsere Angehörigen oder engagieren sich freiwillig für eine soziale und ökologische Gesellschaft. 50% der Arbeit wird heute unentgeltlich geleistet.[2] Mit dem bGE wird diese Arbeit anerkannt und gewürdigt.
3 Anspruchsberechtigte
Das bGE ist personenbezogen und nicht an Bedingungen geknüpft. Anspruchsberechtigt sollen alle Personen sein, die ihren Lebensmittelpunkt in der Schweiz haben. Dazu zählen insbesondere auch Personen mit Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung. Alle Lebensmodelle sollen gleichbehandelt werden.
4 Ökologie
Eine ökologische Wirtschaft muss ihre Leistungen mit einer viel höheren Materialeffizienz bereitstellen, als es heute der Fall ist. Eine höhere Materialeffizienz kann durch Technologien erreicht werden, welche Material nur noch benutzen statt verbrauchen (Materialkreislauf). Materialeffizienz führt allerdings auch zu deutlich weniger bezahlter Arbeit für einen gleichbleibenden Wohlstand. Das Wirtschaftssystem muss daher so umgebaut werden, dass die Grundversorgung der einzelnen Menschen auch bei weniger oder keiner Erwerbsarbeit sichergestellt ist.
Anstelle der heutigen beschäftigungsorientierten Wachstumswirtschaft fördert das bGE eine Bedarfswirtschaft. Das bGE an sich führt somit zu einer ökologischen Gesellschaft, weil es ein Schrumpfen der Wirtschaft erst möglich macht. Denn nur wenn die Grundversorgung der einzelnen Menschen auch ohne Erwerbsarbeit sichergestellt ist, entfällt der Wachstums- und Beschäftigungsdruck, und eine BIP-Reduktion wird ermöglicht (sogenannte Postwachstumsgesellschaft).
Ein Grundeinkommen mindert den Beschäftigungsdruck, was die Kreislaufwirtschaft und Langlebigkeit von Produkten fördert. Es ermöglicht materielle Genügsamkeit (Suffizienz), weil durch das Grundeinkommen eine finanzielle Sicherheit besteht, welche nicht durch eine beschäftigungsorientierte Wirtschaft abgesichert werden muss.
Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht auch, Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen; Zeit und Freiheit für gezieltes Engagement zur Bewältigung der Klimakrise werden bereitgestellt. Weniger ist mehr!
Das bedingungslose Grundeinkommen schafft einen nachhaltigen Gesellschaftsvertrag für die notwendige grüne Bewusstseinswende. Von der Quantität zur Qualität.
5 Bemessungshöhe
Das Grüne Grundeinkommen soll eine bedingungslose Existenzsicherung ermöglichen. Dafür scheint die 2016 diskutierte Höhe von CHF 2500.- nach wie vor angemessen.
Bei Kindern ist eine altersbedingte Staffelung denkbar (reduziertes Grundeinkommen). Allenfalls erhalten Jugendliche ab 16 Jahren (Ausbildungsalter) ein volles bGE. Die zu definierende Höhe der altersbedingten Staffelung des bGE für Kinder und Jugendliche steht im Zusammenhang mit der Finanzierung anderer Sozialleistungen (zum Beispiel Kita, Fördermassnahmen, Krankenkassenprämienverbilligung).
Für die Bemessungshöhe sollen folgende Punkte gelten:
- Sicherung der Grundbedürfnisse wie Ernährung, Wohnen, Energie, Gesundheit, Kleidung, regionale Mobilität und Freizeit.
- Berücksichtigung und Ermöglichung einer gesunden Umwelt und ökologischer Ernährung. Förderung eines möglichst nachhaltigen Lebensstils.
- Soziale und kulturelle Teilhabe.
- Zusatzleistungen sind immer zusätzlich zum bGE (zum Beispiel für Kinderbetreuung, behinderungsbedingte Kosten, etc.).
- Einheitlich, keine regionale Unterscheidung.
Das bGE soll einheitlich sein und keine gezielte gesellschaftspolitische Lenkung übernehmen. Dies sollen andere Steuerungsinstrumente übernehmen, damit das bGE administrativ schlank bleibt. Die Berücksichtigung regionaler Differenzen obliegt kantonalen Entscheidungen und soll mit anderen Lenkungsmöglichkeiten erreicht werden.
6 Finanzierung
Das bGE ist nicht primär eine Umverteilung von Geld, sondern eine Umverteilung von Macht, weil der Zwang zum Erwerbseinkommen nicht mehr im Mittelpunkt unserer Entscheidungen steht. Es ist ein Instrument gegen Existenzangst und Abhängigkeiten.
Das bGE ist eine Steuerreform in Richtung Grün und Sozial. Es ist finanzierbar und machbar, wenn politisch gewollt. Die Ressourcen für die finanzielle Grundversorgung sind vorhanden, sie werden nur umverteilt. Anstatt die finanzielle Grundversorgung wie bisher über die Erwerbsarbeit und an Bedingungen geknüpfte Sozialleistungen zu ermöglichen, wird sie durch das bGE bedingungslos gewährt. Um den dazugehörenden Geldkreislauf anzupassen, braucht es Steuerreformen, die ökologisch und sozial geprägt sind.
Bei der Finanzierung können gezielt grüne Anliegen und Steuerungsmöglichkeiten einfliessen. Das bGE beinhaltet eine Steuerreform in Richtung Einfachheit und sozialer Gerechtigkeit. Es berücksichtigt dabei die Entwicklungen der Automatisierung und künstlichen Intelligenz sowie die neuen Herausforderungen einer hochgradigen Dienstleistungsgesellschaft, insbesondere indem nicht mehr die Arbeit, sondern der Ressourcenverbrauch und das Vermögen besteuert werden. Denn wenn die Einkommensbesteuerung wegfällt, dann muss die Wirtschaft nicht mehr möglichst viele Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, damit genügend Steuern eingenommen werden können.
Ökologisch problematisch ist nicht der Konsum, sondern der damit verbundene Verbrauch von mehr oder weniger problematischen Ressourcen. Deshalb soll der Ressourcenverbrauch (im Verhältnis zur Schädlichkeit und Übernutzung) besteuert werden und nicht der Konsum im Allgemeinen, der auch ressourcenschonende Leistungen enthalten kann. Die Rückverteilung einer solchen Umweltabgabe wäre ein Teil des bGE. Mit dem Grünen Grundeinkommen kann nach Abzug eines Steuerfreibetrags eine progressive Ressourcensteuer geschaffen werden.
Ein grünes bGE ist grundsätzlich und nicht zusätzlich im Sinne einer Grundsicherung. Es sichert die finanzielle Grundversorgung bedingungslos. Erwerbs- und Sozialsysteme sind faktisch ein Teil der Finanzierung, heutige Sozialleistungen können ganz oder teilweise integriert werden.
7 Einführung des Grundeinkommens
Die Einführung eines bGE braucht eine Übergangsphase mit einer finanziell gestaffelten Einführung über eine Zeitspanne einer Dekade. Dabei soll die Einführung wissenschaftlich begleitet werden, um gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen zu untersuchen und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Zudem könnten so unerwünschte Effekte rechtzeitig erkannt und korrigiert werden. Die Finanzierung müsste somit nicht bereits vollumfänglich zur Verfügung stehen. Die Steuerreform könnte ebenfalls gestaffelt eingeführt und nachjustiert werden. Als ersten Schritt hin zur Einführung des bGE könnten lokale Kooperativen mit einem Grundeinkommen für den ökologischen Wandel[3] gegründet werden. Unabhängig von der Einführung des bGE können zahlreiche konkrete Schritte unternommen werden, um eine nachhaltige Wirtschaft und einen gerechten und nachhaltigen Wohlstand für alle zu gestalten. Das Positionspapier der GRÜNEN «Arbeitsplätze der Zukunft»[4] zeigt Schwerpunkte einer grünen Wirtschaftspolitik auf.
8 Abschliessend
Das bedingungslose Grundeinkommen bietet nicht mehr Freizeit, sondern mehr Freiheit, insbesondere mehr Freiheit in der Arbeit. Freiheit bedeutet aber auch Verantwortung. Dies müssen wir als Gesellschaft lernen und üben. Deshalb braucht es bei der Einführung des bGE begleitende Massnahmen wie Bildungsangebote für alle Generationen, Job- und Projektbörsen sowie Veränderungen im Schulsystem in Richtung Erwerb von Kompetenzen zur Lebens- und Sinngestaltung.
[1] Mitgewirkt haben in der Arbeitsgruppe 2022/2023, in alphabetischer Reihenfolge: Gerhard Andrey (Leitung), Bettina Beer-Aebi, Lea Bill, Josef Brusa, Rahel Estermann, Blaise Horisberger, Christina Keller, Silvan Laube, Daniel Meier, Katharina Prelicz-Huber, Irina Studhalter, Sarah Suter, Monika Wagner-Willi, Raffael Wüthrich.
[2] Quelle: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/erwerbstaetigkeit-arbeitszeit/vereinbarkeit-unbezahlte-arbeit.html (Stand 16.10.2023)
[3] Das Grundeinkommen für den ökologischen Wandel (ursprünglich « revenu de transition écologique » ist ein von Sophie Swaton erarbeitetes Modell, das als Übergangslösung hin zu einem bGE gedacht ist. Mehr dazu: https://zoein.org/
[4] GRÜNEN Schweiz, Arbeitsplätze der Zukunft. Schwerpunkte der Grünen Wirtschaftspolitik, 2022, https://gruene.ch/wp-content/uploads/2022/10/pos_221022_Arbeitsplaetze_der_Zukunft_de.pdf