© NASA Earth Observatory images by Joshua Stevens
  • Interview: Simon Jäggi
  • Dieser Artikel ist hier im Public Eye-Magazin (Nr. 21, Januar 2020) erschienen und wird an dieser Stelle mit der Erlaubnis von Public Eye veröffentlicht. Vielen Dank!

Bei ihrem Besuch im November hat eine indigene Delegation aus dem Amazonas die Schweiz scharf kritisiert. Sie sagten, das Land bereichere sich am Elend anderer. Teilen Sie diese Kritik?
Die Indigenen haben gut verstanden, wie die Schweiz funktioniert. Insbesondere im Hinblick auf den Handel. Ich bin derselben Ansicht: Geht es ums Geld, gehen unsere Grundwerte schnell vergessen.

In der Schweiz hat die Zivilgesellschaft eine Mercosur-Koalition gebildet, die vom Bauernverband über Public Eye bis zu Brot für alle reicht. Was eint diese Allianz?
Hier treffen sich die Interessen von Bauern, Konsumenten und allen, die sich für globale Solidarität einsetzen. Gemeinsam können wir stärkeren Druck aufbauen. Wir sind nicht grundsätzlich gegen ein Freihandelsabkommen, fordern aber vom Bundesrat verbindliche Nachhaltigkeitskriterien. Der Schutz von indigenen Rechten, Menschenrechten, sozialen Standards und der Umwelt soll rechtlich bindend im Abkommen festgeschrieben werden.

Wie sollen solche Regelungen durchgesetzt werden?
Wir brauchen klare Kriterien, Kontrollen und Sanktionsmöglichkeiten. Das gab es in der Schweizer Handelspolitik in dieser Form bisher nicht, insofern ist es eine Herausforderung. Eine, die wir dringend angehen müssen. Die Globalisierung bedroht an vielen Orten die Umwelt, die Menschenrechte und die soziale Gerechtigkeit. Die Schweiz importiert bereits heute viele Produkte, die nicht nachhaltig produziert werden. Wir müssen den Druck auf andere Staaten erhöhen, auch im Hinblick auf die kommenden Freihandelsabkommen.

Sie fordern Sanktionsmöglichkeiten. Wie könnten diese aussehen?
Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, Einfuhrkontingente nur noch an sozial und ökologisch nachhaltig produzierte Erzeugnisse zu vergeben. Die Schweiz muss zudem Produkte vom Freihandel ausschliessen, wenn diese gewisse Mindestanforderungen nicht erfüllen. Zudem braucht es eine Ausstiegsklausel, damit wir das Handelsabkommen aufkünden können, wenn sich die Vertragspartner nicht an die Bestimmungen halten. Es ist spannend zu sehen, dass nicht nur in der Schweiz die Kritik am Abkommen zunimmt. Auch in anderen europäischen Ländern wächst die Skepsis. Und selbstverständlich auch in den Mercosur-Staaten.

Mehr Fleisch aus Brasilien importieren und gleichzeitig die Menschenrechte und die Umwelt schützen – ist das nicht ein Widerspruch?
Auch wenn die Schweiz nur jene Produkte importiert, die unter nachhaltigen Bedingungen produziert werden, trägt sie mit dem Abkommen zum schädlichen Wachstum der Fleischund Futtermittelindustrie bei. Wir wissen, wie negativ sich der Fleischkonsum auf die Umwelt auswirkt und kennen die Bedingungen, unter denen in Brasilien Fleisch produziert wird. Die Tiere werden mit genmanipuliertem Soja gefüttert, das auf abgeholzten Regenwaldflächen wächst. Davon profitiert niemand – weder die Konsumierenden, die Lebensmittel von guter Qualität wollen, noch Bäuerinnen und Bauern, die gezwungen werden, auf Kosten der Umwelt möglichst billig zu produzieren, noch das Klima oder die Indigenen. Aber wenn man die Importe in die Schweiz verbessern kann, ohne sie zugleich zu erhöhen, dann wird es interessant.

Was sind die nächsten Schritte?
Der Bundesrat muss das Abkommen noch verabschieden, erst dann kommt es ins Parlament. Ich bin jedoch nicht sicher, ob das neue Parlament beim Freihandel genauer hinschauen wird als das letzte. Wenn das Parlament keine klaren Nachhaltigkeitskriterien und Sanktionsmöglichkeiten beschliesst, werden wir Grünen das Referendum ergreifen.

Es wäre das erste Mal, dass das Stimmvolk über ein Freihandelsabkommen entscheidet. Rechnen Sie sich dafür Chancen aus?
Es ist Zeit, dass die Bürgerinnen und Bürger darüber abstimmen können! Im Kern geht es um eine Allianz mit den Konsumierenden. Darum, welches Essen auf unserem Teller landet. Ich bin überzeugt, die meisten Menschen wollen, dass ihre Produkte nachhaltig und unter Einhaltung der Menschenrechte hergestellt werden.