Im Unterschied zu den Bundesratsparteien gehen die Grünen nicht davon aus, dass die Abstimmung über das Minarett-Verbot wirkliche Probleme mit der muslimischen Gemeinschaft in der Schweiz oder reale Konflikte zwischen ihr und Nichtmuslimen widerspiegelt. Sonst müsste in jenen Dörfern, wo es keine oder wenige Musliminnen und Muslime gibt, der Nein-Anteil besonders hoch gewesen sein und der Ja-Anteil hoch in den Städten insbesondere der Romandie, wo es mehr praktizierende Muslime hat als in der Deutschschweiz.

Weder „Muslim-„, „Juden-“ noch „Italienerpapier“
Die Annahme des Minarett-Verbots ist die Folge einer Wirtschafts-, Gesellschafts- und Identitätskrise, die mit den einzelnen muslimischen Menschen, die in der Schweiz wohnen und leben, wenig zu tun hat. Nach dem 29. November 2009 ein „Muslim-Papier“ zu verfassen, ist ebenso fragwürdig, wie wenn nach dem 7. Juni 1970, als die Schwarzenbach-Initiative 46 Prozent Ja-Stimmen erreichte, ein „Italiener-Papier“ oder nach dem 20. August 1893 nach der Annahme des Schächtverbots ein „Juden-Papier“ verfasst worden wäre. Was es braucht, ist eine Demokratie-Debatte, die klar macht, dass auch eine direkte Demokratie menschen- und völkerrechtliche Schranken hat und dass die Bürgerrechte mit den Menschenrechten zu verknüpfen sind.

Die Einschätzung, dass das mehrheitliche Ja zum Minarett-Verbot mit den muslimischen Menschen wenig zu tun hat, heisst nicht, dass wir Grünen die Augen verschliessen vor jenen Problemen und Konflikten, die es tatsächlich gibt. Allerdings lesen wir diese nicht als Islam-, sondern vor allem als Integrationsfragen.

FDP ist nicht auf dem Laufenden
Der Vorschlag der FDP für ein Integrationsgesetz ist ein perfektes Beispiel für eine Kommunikation ohne überlegten politischen Inhalt und ohne Bezug zur Realität. 2009 hat die Tripartite Agglomerationskonferenz (TAK) unter dem Patronat des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes (EJPD) einen breiten Vernehmlassungsprozess unter Einbezug aller Akteurinnen und Akteure aus den Bereichen Migration und Integration in Gang gesetzt.

Die TAK kam zum Schluss, dass ein eidgenössisches Rahmengesetz keinen Sinn macht. Es sei viel kohärenter, Integrationsbestimmungen in den einzelnen Gesetzen bezüglich Arbeitsmarkt, Gesundheit, Bildung, Familie etc. zu verankern. Es muss zudem bestimmt werden, welche Kompetenzen der Bund und die Kantone haben. Der Bundesrat wird sich im Februar 2010 dazu äussern. Hat die FDP diese Berichte gelesen, bevor sie gestern an die Medien getreten ist?

Politik des Zusammenlebens
Die Grünen appellieren an die Bundesratsparteien, eine Politik des Zusammenlebens zu verteidigen, die auf den Prinzipien des Rechtsstaates und auf der Gleichbehandlung aller Bürgerinnen und Bürger beruht und welche die Integration als ein Mittel versteht, um das „Zusammenleben der einheimischen und ausländischen Wohnbevölkerung“ (Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer AuG) und „die chancengleiche Teilhabe der Ausländerinnen und Ausländer an der schweizerischen Gesellschaft“ (Art. 2 Verordnung über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern VIntA) zu fördern. Die Werkzeuge existieren bereits. Die derzeitige Debatte, in der sich alle gegenseitig überbieten wollen, ist kontraproduktiv.