«Vertrauen in die Demokratie bewahren»
Am 6. August verkündete der Bund, dass er sich bei der AHV-Finanzprognose um mehrere Milliarden verkalkuliert hatte. Auf Basis der falschen Zahlen wurde 2021 das Rentenalter der Frauen mit sehr knapper Mehrheit (50.5%) erhöht. Die GRÜNEN haben eine Abstimmungsbeschwerde eingereicht. Greenfo hat mit den fallführenden Anwältinnen, Léna Nussbaumer-Laghzaoui und Camilla Jacquemoud, gesprochen.
Weshalb haben Sie für die GRÜNEN diese Beschwerde eingereicht?
Nach unserer Auffassung handelt es sich bei der Beschwerde der GRÜNEN gegen die schwerwiegenden Unregelmässigkeiten bei der AHV 21-Reform um einen notwendigen Schritt, um das Vertrauen der Bevölkerung in das demokratische System der Schweiz zu bewahren.
Was war die grösste Herausforderung beim Verfassen?
Ab dem Zeitpunkt der Entdeckung des Beschwerdegrunds bleibt eine Frist von drei Tagen zur Eingabe bei der Kantonsregierung, was äusserst kurz ist bei einem Bundesgeschäft dieser Grösse. Als das Bundesamt für Sozialversicherungen seinen Fehler bekanntgab und die GRÜNEN uns kontaktierten, begannen wir unverzüglich mit dem Verfassen der Beschwerdeschriften im Umfang von über 35 Seiten, um sie am 9. August einzureichen.
Sie mussten die Beschwerde zunächst in den Kantonen Genf und Zürich und anschliessend beim Bundesgericht einreichen. Warum?
Gemäss Bundesgesetz über die politischen Rechte sind die Kantonsregierungen bei einer Abstimmungsbeschwerde erstinstanzlich zuständig, selbst wenn diese auf Bundesebene angesiedelt ist. Bevor wir ans Bundesgericht gelangten, mussten wir uns deshalb zuerst an den Genfer Staatsrat und den Zürcher Regierungsrat wendenWir taten das zusammen mit vier beschwerdeführenden Frauen, zwei aus dem Kanton Genf und zwei aus dem Kanton Zürich.
An welchem Punkt befindet sich das Verfahren?
Das Bundesgericht hat uns die Stellungnahme des Bundesrates soeben übermittelt. Wir haben nun eine kurze Frist, um unsererseits zu antworten. Angesichts dieses raschen Tempos ist ein Entscheid vor Ende Jahr – und damit vor Inkrafttreten der Frauenrentenaltererhöhung – immer noch möglich.
Denken Sie, dass das Bundesgericht den GRÜNEN Recht geben wird?
Dieser Fall ist aussergewöhnlich. Seine Erfolgsaussichten einzuschätzen, ist schwierig. Das Bundesgericht hat 2019 bereits eine eidgenössische Abstimmung für ungültig erklärt (Heiratsstrafe-Initiative). Die Begleitumstände waren ähnlich: Es gab Berechnungsfehler und ein knappes Abstimmungsresultat. Doch die Initiative war abgelehnt worden und somit nie in Kraft getreten.
In unserem Fall plädieren wir, dass die Schwere der angefochtenen Unregelmässigkeiten und deren Einfluss auf das Abstimmungsresultat derart gross waren, dass die Tatsache, dass die AHV 21-Reform angenommen worden ist, kein Hindernis dafür sein darf, die Abstimmung für ungültig zu erklären.
Wird die Stimmbevölkerung ein zweites Mal über die Frauenrentenaltererhöhung abstimmen
Das Bundesgericht darf strittige Abstimmungen zwar für ungültig erklären, hat aber keine Befugnis, neue Abstimmungen anzuordnen. Sollten wir den Fall gewinnen, wird der Bundesrat über das weitere Vorgehen entscheiden: Entweder kommt die Vorlage erneut vor die Stimmbevölkerung oder der Bundesrat präsentiert dem Parlament ein neues Vorhaben.