Jung und munter – die AHV
Arbeitspapier der GRÜNEN zu den Perspektiven der Altersvorsorge
Die Schweizer Bevölkerung wird älter. Der AHV bereitet dies kaum Probleme. Bei den Pensionskassen gibt es hingegen noch offene Fragen.
Weil die Menschen immer älter werden, seien die Renten in Gefahr – dieser Irrglaube ist vielen SchweizerInnen noch nicht ausgetrieben. Die Regierung ist daran mitschuldig. Denn bis Ende der neunziger Jahre verbreitete der Bundesrat pessimistische Szenarien. Bundesrat Pascal Couchepin
drängt heute – flankiert von bürgerlichen PolitikerInnen und Unternehmerverbänden – auf eine Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre. Aufgrund von wirtschaftlichen Simulationen, die auf vernünftigen Annahmen basieren, kann für die AHV jedoch Entwarnung gegeben werden. Beim Pensionskassensystem, der Zweite Säule, bleiben hingegen Fragezeichen stehen.
Was oft unterschlagen wird: Die Frage, ob die Altersrenten finanzierbar sind, ist zunächst eine politische, obwohl sie in der Regel unter technischen Gesichtspunkten beantwortet wird. Was muss die Altersvorsorge leisten? Wie soll sie finanziert werden? Wie soll die Umverteilung wirken? FreundInnen einer grosszügigen Altersvorsorge könnten sich beispielsweise auf den Standpunkt
stellen, dass die Altersvorsorge so lange kein Finanzierungsproblem hat, wie auf Schweizer Strassen Sportwagen anzutreffen sind. Die politische Realität sieht jedoch anders aus. Die Bürgerlichen sind daran, einen Leistungsabbau durchzudrücken.
Einer Person im Rentenalter stehen in der Schweiz gegenwärtig rund vier Personen im erwerbsfähigen Alter gegenüber. Dieses Verhältnis wird sich in Zukunft markant verändern. Gemäss dem Trend Bevolkerungsszenario des Bundesamtes fur Statistik (BFS) dürften im Jahr 2050 noch rund 2,5 Personen im Erwerbsalter auf eineR RentnerIn kommen. Eine erwerbstätige Person muss dann also mehr Renten finanzieren als heute. Dies hat zwei Ursachen. Erstens leben die RentnerInnen länger. Zweitens sinkt aufgrund tieferer Geburtenraten die Zahl der Personen im Erwerbsalter im Verhältnis zur Anzahl der RentnerInnen.
Mischindex sichert AHV
Wie wirkt sich diese demografische Verschiebung auf die Finanzen der AHV aus? Rein intuitiv scheint klar, dass eine im Verhältnis zur Erwerbsbevölkerung steigende Zahl von RentnerInnen zu einer hoheren finanziellen Belastung der Erwerbstätigen führt. Diese müssten aus ihrem Einkommen mehr für die Renten bezahlen. Tatsächlich jedoch ist die AHV so konstruiert, dass dies kaum der Fall sein wird: Die Ausgaben der AHV pro Person (die Renten) steigen nicht in dem gleichen Masse wie die Einnahmen (die Lohnprozente). Die Renten werden heute alle zwei Jahre angepasst (mit der 11. AHV-Revision alle drei Jahre). Die Teuerung wird ausglichen; zusätzlich erhalten die RentnerInnen eine Rentenerhöhung, die prozentual nur die Hälfte der Lohnerhöhungen ausmacht (das ist der sogenannte Mischindex). Lohnerhöhungen führen somit zu Rentenerhöhungen, aber nicht im Massstab 1:1. Massgeblich für diese Erhöhung ist der so genannte Lohnindex des Bundesamtes fur Statistik. Dieser Lohnindex weist jedoch besondere
Eigenschaften auf. Er entspricht nicht dem schweizerischen Durchschnittslohn, sondern er bildet den Lohn ab, wie ihn jemand bei gleichbleibender Tätigkeit erhält, also den Lohn einer Lastwagenfahrerin
oder eines Verkäufers. Tatsächlich aber wandelt sich die Schweizer Volkswirtschaft ständig. Die Produktivität steigt. Weniger produktive Arbeitsplä tze, Unternehmen, Wirtschaftszweige verschwinden und machen anderen, produktiveren Platz. Entsprechend werden auf diesen produktiveren Arbeitsplä tzen höhere Löhne bezahlt. Dies hat zur Folge, dass der Schweizer Durchschnittslohn stärker steigt als der Lohnindex, der diesen Strukturwandel nicht berücksichtigt. Während der Durchschnittslohn von 1995 bis 2000 pro Jahr um fast 2,5 Prozent zugenommen hatte, stieg der Lohnindex über Jahre um weniger als ein Prozent.
Die Differenz zwischen Durchschnittslohn und Lohnindex wirkt sich positiv auf die finanzielle Lage der AHV aus. Die Einnahmen der AHV fallen proportional zum Durchschnittslohn an, die Renten hingegen werden zur Hälfte dem weniger stark steigenden Lohnindex angepasst. Allerdings bemessen sich die AHV-Rentenansprüche einer Rentnerin an den Beiträgen, die diese während ihrer Erwerbsphase an die AHV bezahlt hat – also an der Entwicklung des Durchschnittslohns. Dadurch wird der Anteil der AHV-RentnerInnen, die die Maximalrente beziehen, im Laufe der Zeit zunehmen.
Unter diesen Voraussetzungen dürfte die Finanzlage der AHV auch in Zukunft wenig Sorge bereiten. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zurich hat für den Perspektivstab den Bundes Modellsimulationen bis ins Jahr 2025 vorgenommen. Mehrwertsteuer-Erhöhungen zur Finanzierung der AHV dürften – wenn überhaupt – nur in geringem Ausmass notwendig sein. Bis zum Jahr 2025 wird ein zusätzliches Mehrwertsteuer-Prozent vollauf reichen. Rentenalter 67 und andere Abbauphantasien sind unter Finanzierungsgesichtspunkten unnötig.
Demografische Anfälligkeit der 2. Säule unterschätzt.
Wie sich die Alterung der Gesellschaft auf das schweizerische Pensionskassensystem, die Zweite Säule, auswirken wird, ist schwieriger abzuschätzen. Die Erfahrungen mit dieser Art der Altersvorsorge sind noch gering. Zudem gibt es wenig gute Untersuchungen. Im Gegensatz zur
AHV, bei der die Renten direkt aus den Einkommen der Erwerbstätigen finanziert werden, sparen in der Zweite Säule künftige RentnerInnen während ihrer Erwerbstätigkeit ein individuelles Alterskapital an (Kapitaldeckungsverfahren). Dabei kommt ein riesiges Vermögen zusammen. Ist der Aufbau der Alterskapitalien im Jahre 2030 abgeschlossen, dürften sich die Gesamtsumme auf rund eine Billion Franken belaufen.
Die Anfälligkeit des Pensionkassensystems für die Alterung der Gesellschaft wird in der Schweiz wahrscheinlich unterschätzt, auch von ExpertInnen. Weitgehend Konsens besteht einzig darüber, dass die höhere Lebenserwartung der RentnerInnen dazu führt, dass das angesparte Alterskapital für einen längeren Zeitraum reichen muss. Aus demselben Kapital müssen mehr Renten bezahlt werden. In diese Richtung zielt die Senkung des Umwandlungssatzes in der 1. BVG-Revision.
Die andere Ursache für das Älterwerden der Gesellschaft, die tiefere Geburtenrate, wird für die Zweite Säule hingegen oft als unbedeutend dargestellt. So meint beispielsweise Jürg Brechbühl, Vizedirektor des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV): «Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur ist nur für die umlagefinanzierte AHV von Bedeutung» (« Die Volkswirtschaft», Nr. 12/2000). Fundierte Untersuchungen zu diesem Thema fehlen jedoch.
Naiverweise könnte man annehmen, dass das Pensionskassensystem deshalb nicht fur die Alterung anfällig ist, weil die RentnerInnen von morgen bereits heute ihre Rente ansparen. Doch Sparen ist nicht gleich Sparen: Wird Erspartes in Form von Geld gehalten, verliert es durch die Teuerung real an Wert. Wer im Alter von 25 Jahren 1000 Franken gespart hat, wird bei einer jä hrlichen Teuerung von 1,5 Prozent nur noch über eine Kaufkraft von knapp 550 Franken verfügen können, wenn er 65 ist. Um wenigstens die Kaufkraft zu erhalten, müsste das Ersparte somit mit einer jährlichen Rendite in der Hohe der Teuerung angelegt werden. Allerdings ist damit der Teuerung im Rentenalter noch nicht Rechnung getragen. Dazu braucht es mindstens weitere 0,5 Prozent Rendite. Die Zweite Säule hat jedoch ein ambitioseres Ziel. Sie soll den Lebensstandard im Rentenalter erhalten helfen. Die Ersparnisse müssen mit einer höheren Rendite angelegt werden um auch am Produktivitä tszuwachs teilzuhaben. Bei einer jährlichen Produktivitätserhohung von 1,5 Prozent ergeben sich dadurch weitere 1,5 Prozent zusätzlicher Rendite.
Gemäss dieser groben Überschlagsrechnung müsste das Alterskapital zu sicheren 3,5 Prozent angelegt werden.
Kapitalanlagen müssen verkauft werden, aber zu welchem Preis?
Ob diese Rendite erreicht wird, ist jedoch nicht unabhängig von der demografischen Entwicklung. Demografisch bedingte Probleme kommen auf die Pensionskassen dann zu, wenn die geburtenstarken Jahrgänge pensioniert werden. Die Kassen dürften dann vermehrt Anlagen liquidieren müssen. Damit sie die zusätzlichen Renten auszahlen können, ist ein Verkauf von Aktien, Immobilien, Obligationen notwendig und zwar entweder an die Erwerbstätigen im Inland oder an Personen im Ausland. Doch zu welchem Preis? Die Immobilienpreise beispielsweise sind abhängig von den Mieten. Je höher der Mietertrag einer Liegenschaft, desto höher ihr Verkaufspreis. Wenn aber die Nachfrage nach Mietwohnungen zurückgeht, weil etwa ältere Menschen tendenziell einen geringeren Flächenbedarf haben oder beispielsweise Zimmer in Alterswohnheimen beziehen, droht die Gefahr, dass die Immobilien nicht zum gewünschten Preis veräussert werden konnen. Den RentnerInnen fehlen die jungen Erwerbsttätigen, die ihnen ihre Liegenschaften abkaufen.
Ein zusätzliches Problem ergibt sich dadurch, dass die künftige Verbreitung des Kapitaldeckungsverfahrens unbekannt ist. In welchem Ausmass werden andere Länder ihre Altersvorsorge über das Kapitaldeckungsverfahren finanzieren? Es sieht nämlich so aus, als wäre die Schweizer Wirtschaft für die Kapitalbildung im Rahmen der Zweite Säule zu klein. Die SchweizerInnen sparen ohenhin zu viel. Bereits legt die Schweiz mehr Kapital im Ausland an, als ausländisches Kapital in die Schweiz fliesst und zwar in einer Grossenordnung von fünfzehn Milliarden Franken jährlich. Anlagen im Ausland sind offensichtlich rentabler.
Ein weiteres Indiz dafür ist, dass die Pensionskassen-Kapitalien stärker zunehmen als die Gewinne der Realwirtschaft, aus denen die Zinsen bezahlt werden sollen. Das heisst: für jeden zusätzlichen Pensionskassen-Franken gibt es in der Schweiz weniger Gewinn. Das Vorsorgekapital stieg zwischen 1990 und 2000 mit Raten von über 7 Prozent, während sich die Gewinne weitaus weniger stark – nämlich im Gleichschritt mit dem nominalen Bruttoinlandsprodukt – um jährlich rund 2.3 Prozent erhöhten.
SchweizerInnen sparen zu viel.
Dieser Anstieg der Pensionskassenvermogen wäre unter dem Rendite-Gesichtspunkt unproblematisch, wenn die Haushalte weniger sparen würden und das Sparen stärker den Pensionskassen überlassen würden. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Sparquote stieg über die achtziger Jahre an, und blieb über die neunziger weitgehend konstant. Internationale Vergleichsstudien zeigen, dass die Einführung des Zwangssparens im Rahmen eines Pensionskassensystems insgesamt zu einer verstärkten Spartätigkeit führt. Obwohl Pensionskassenvermogen angehäuft wird, sparen die Privaten Haushalte weiter – als gäbe es keine Pensionskassen. Eine Ursache ist, dass Haushalte mit tiefem Einkommen durch das Pensionkassensytem zum Sparen gezwungen werden, die sonst ihr verfügbares Einkommen konsumiert hätten. Doch auch finanziell besser gestellte Haushalte reduzieren ihre Spartätigkeit
bei Einführung eines Pensionskassensystems nur teilweise. Solange das Ausland die Altersvorsorge wie heute vorwiegend über das Umlageverfahren
finanziert, kann das Schweizer Vorsorgekapital weiterhin im Ausland Anlagemöglichkeiten suchen. Das Ausland ist das Ventil fur das steigende Vermögen, das im Inland um sinkende Renditen kämpft. Wird jedoch das Kapitaldeckungsverfahren in anderen Ländern verstärkt ausgebaut (wie
etwa in Deutschland), dürfte auch im Ausland vermehrt mit Anlageengpässen zu rechnen sein. Weitere Immobilien- und Börsencrashes sind programmiert.
AHV stärken – 3. Saule überdenken.
Durch das übermäsige Sparen in der Schweiz dürfte zudem die Beschäftigung und die Wertschopfung im Inland und somit die Finanzierungsbasis der AHV beeinträchtigt werden. Einkommen, das gespart wird, fliesst nicht in den Konsum. Wenn übermässig gespart wird, wird weniger konsumiert. Die Nachfrage nach inländischen Dienstleistungen und Waren sinkt. Es braucht weniger Arbeitsplätze. Die Unternehmen investieren weniger, die Arbeitslosigkeit steigt, wodurch der AHV weniger Mittel zufliessen.
Unter diesen Bedingungen wäre eine Stärkung der AHV unter Umständen auch auf Kosten der Zweite Säule sinnvoll. Das grosse Sparen könnte auch dadurch reduziert werden, dass Versicherte einen leichteren Zugang zu den Pensionskassenguthaben erhalten. Vorstellbar wäre zum Beispiel, dass sich Pensionskassen verstärkt im Hypothekargeschäft engagieren, indem sie beispielsweise den Versicherten Hypotheken gewähren. Die Dritte Säule, die eher von einkommensstärkeren Haushalten genutzt wird, sollte ebenfalls überdacht werden. Für das Sparen braucht es grundsätzlich keine steuerlichen Anreize.