Schluss mit der Arbeitsverweigerung: Zurück an den Verhandlungstisch!

Nach dem unnötigen Abbruch der Verhandlungen für ein Rahmenabkommen durch den Bundesrat steckt die Schweizer Europapolitik in einer Sackgasse fest. Die Konsequenzen dieses Fehlentscheids sind zunehmend sichtbar: Schweizer Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Studierende sind aus wichtigen Teilen der europäischen Forschungs- und Mobilitätsprogramme ausgeschlossen. Die fehlende Anerkennung von Medizinprodukten beeinträchtigt auch die Versorgungssicherheit und die Marktüberwachung. Und neue Zusammenarbeitsabkommen, z.B. eine Beteiligung der Schweiz am Europäischen Green Deal als wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Klima- und Biodiversitätskrise, sind in weite Ferne gerückt.

Aus Angst vor einer Zerreissprobe betreibt der Bundesrat in der Europapolitik weiterhin Zeitverzögerung und verschliesst die Augen vor den tatsächlichen Problemen: Ohne Lösung der institutionellen Fragen können weder bestehende Abkommen aktualisiert noch neue abgeschlossen werden. Der Abbruch der Verhandlungen für ein Rahmenabkommen hat den bilateralen Weg grundsätzlich in Frage gestellt. Und er ermöglichte es dem Bundesrat in der wichtigen Debatte um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Schuld auf die Personenfreizügigkeit abzuschieben – statt im Inland griffige Lösungen zu finden. Während sich der Bundesrat mit dem Kauf neuer Kampfjets sowie dem Ausbau von Freihandel derweil den USA oder China zuwendet, bleibt er uns eine zukunftsfähige Europapolitik weiterhin schuldig. Damit fügt er der Schweiz und ihrer Reputation erheblichen Schaden zu.

Wir GRÜNE wollen das ändern. Wir wollen, dass die Schweiz ihre Beziehungen zur Europäischen Union in Zukunft auch politisch und institutionell vertiefen kann. Als erstes müssen dazu zunächst die Beziehungen stabilisiert werden. Im Minimum braucht es dafür eine Lösung der institutionellen Fragen, welche die Aufrechterhaltung des Bilateralen Wegs und den Abschluss neuer Zusammenarbeitsabkommen ermöglicht. Doch der Bundesrat betreibt Arbeitsverweigerung. Er hat in der Europapolitik, wie auch bei der Klima- und der Biodiversitätskrise, weder den Willen noch den Mut, einen Befreiungsschlag zu wagen. Es ist also an der Zeit, dass die grüne Wende auch im Bundesrat ankommt. Wir GRÜNE sind bereit Verantwortung zu übernehmen und Vorschläge dort einzubringen, wo die Regierung versagt. Und wir GRÜNE setzen uns politisch dafür ein, dass der Bundesrat endlich mit ernsthaften Absichten an den Verhandlungstisch zurückkehrt.

Die Schweiz ist ein Teil Europas

Die Schweiz ist ein Teil Europas. Geographisch, historisch, ökonomisch, kulturell. Die Erfahrung zweier Weltkriege und der kriegerischen Konflikte auf dem Balkan haben deutlich gemacht, wie wichtig eine dauerhafte Zusammenarbeit der Staaten Europas ist, um das Wiederaufleben nationaler Gegensätze zu verhindern. Anhaltender Frieden in Europa erfordert eine politische, kulturelle und wirtschaftliche Integration der europäischen Staaten. Das Fundament dafür bilden die dazu geschaffenen Institutionen wie die Europäische Union, der Europarat oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Diese Institutionen sind, trotz aller bekannten Schwächen, eine Erfolgsgeschichte: 70 Jahre Frieden zwischen den Ländern der Europäischen Union sind leider keine Selbstverständlichkeit.

Das Bewusstsein für diese historische Leistung ist in der Schweiz nach 30 Jahren nationalkonservativer Rhetorik kaum mehr vorhanden. Statt europäischer Offenheit dominiert eine Sehnsucht nach Nostalgie und Isolation. Statt dem Willen mitzugestalten, begnügt man sich mit vermeintlich souveränem Abseitsstehen. Ziel der nationalistischen Kräfte, welche diese Gefühle seit 30 Jahren bewirtschaften, ist nicht das Wohl der Bevölkerung, sondern der Wunsch nach einer uneingeschränkten wirtschaftlichen Globalisierung ohne politische Verantwortung. Isolierte nationalstaatliche Lösungen, reine Wirtschaftsabkommen und freier Handel abseits von ökologischen oder sozialen Mindeststandards: Der Traum von einem Alpen-Singapur für Reiche. Das ist keine Gesellschaft, für welche wir GRÜNE uns einsetzen. Es ist also an der Zeit, diesen Kräften die Diskurshoheit wieder zu entreissen und endlich eine Grundsatzdebatte über den Platz zu führen, welchen die Schweiz in Europa einnehmen soll.

Wir GRÜNE sind eine europäische Partei. Die europäische Integration ist für uns ein Projekt des Friedens und der nachbarschaftlichen Zusammenarbeit. Zusammen mit unseren Schwesterparteien setzen wir uns für ein friedliches, ökologisches und soziales Europa mit einem starken Schutz der Grund- und Menschenrechte ein. Die unhaltbare Situation an den europäischen Aussengrenzen zeigt, dass noch viel zu tun bleibt. Angesichts der geopolitischen Entwicklungen und des erstarkenden Nationalismus ist ein demokratisches und rechtsstaatliches Europa, das auf den Fundamenten der Aufklärung, des Humanismus und der Nachhaltigkeit aufbaut, heute jedoch nötiger denn je. Die Schweiz ist für uns Teil dieses europäischen Projekts. Sie soll sich – stärker als heute – als verlässliche Partnerin in die europäische Gemeinschaft einbringen. Wir GRÜNE nehmen unsere Verantwortung ernst und verstehen uns als Teil einer europäischen Bewegung. Dabei suchen wir nicht nur in der Schweiz die Diskussion und Zusammenarbeit mit allen interessierten Kräften, sondern auch auf europäischer Ebene. Dazu gehört auch eine Bestandsaufnahme der institutionellen Probleme und Hemmnisse, dies auch als Grundlage für die weitere Diskussion in unserer Partei. Zudem unterstützen wir unsere Schwesterparteien der European Greens in ihren Bestrebungen zur Demokratisierung der EU und ihrer Institutionen.

Mehr als nur Freihandel: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Lösung grenzüberschreitender Probleme

Die Europäische Union steht für weit mehr als für Freihandel und wirtschaftliche Zusammenarbeit: Die Unionsbürger*innenschaft ist ein fundamentaler Fortschritt im Bereich der Sozial- und der Menschenrechte. Mit Horizon Europe, Erasmus Plus und Creative Europe hat die Europäische Union Programme geschaffen, welche Austausch und Kooperation über die Landesgrenzen hinaus ermöglichen. Mit dem Green Deal schlägt die Europäische Kommission vor, was der Bundesrat nicht vorzuschlagen wagt: den Ausstieg aus den Verbrennungsmotoren bis 2035 und grosse Investitionen in die grüne Wende. Und auch bezüglich der Regulierung der grossen Technologie-Konzerne und von multinationalen Unternehmen ist die Europäische Union die verlässlichste Akteurin, um die globalisierte (digitale) Wirtschaft in finanziell, ökologisch und sozial nachhaltige Bahnen zu lenken.

In einer vernetzten und globalisierten Welt übersteigen immer mehr Herausforderungen den Einfluss der Nationalstaaten. Für die grossen Projekte, die vor uns liegen, ist eine starke und stabile Beziehung zur Europäischen Union darum unerlässlich. Die negativen Auswirkungen der Globalisierung wie Lohndumping und Schwarzarbeit bekämpfen wir am besten gemeinsam – indem wir an den flankierenden Massnahmen und am europäischen Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» festhalten und diese auch durchsetzen. Das gleiche gilt für die Bekämpfung der Klimakrise, den Schutz der Biodiversität und eine Digitalisierung zum Wohle der Menschen: Eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und mit unseren Nachbarstaaten ist unsere beste Chance, diese Ziele zu erreichen. Denn grenzüberschreitende Probleme verlangen auch eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Der Bundesrat und weite Teile des Parlaments wollen die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union heute auf diejenigen Bereiche beschränken, die der Schweiz freien Handel und Marktzugang versprechen. Wir GRÜNE wollen mehr. Wir wollen auch eine kulturelle, soziale und politische Zusammenarbeit. Wir wollen den Paradigmenwechsel in der Schweizer Europapolitik. Wir sorgen für neuen Nährboden in der Schweizer Europapolitik, so dass eine weitere Annäherung und mittelfristig auch eine institutionelle Vertiefung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union wieder zu einer realistischen Option werden. Denn durch ihr heutiges Abseitsstehen verpasst es die Schweiz, sich an den grossen zukunftsweisenden Projekten Europas und der Europäischen Union zu beteiligen.

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