Präsidialrede Balthasar Glättli – DV 26.08.23
Wir und Jetzt. Mehr denn je!
Es gilt das gesprochene und das geschriebene Wort.
Es gibt in der Geschichte, es gibt in der Politik Momente der Entscheidung. Momente, die den Status Quo in Frage stellen. Momente, in denen wir zurückgeworfen werden auf uns selbst. Momente, in denen wir das übliche «Weiter so» überdenken. Das sind die Momente, in denen wir gemeinsam neue Wege einschlagen können. Veränderung gestalten.
Liebe GRÜNE
Chères Vertes, chers Verts
Cari VERDI
Es gibt Momente der unbequemen Wahrheiten.
Die Veränderung, vor der wir stehen, ist nicht einfach ein kleiner Schritt.
Fossiler Kapitalismus oder grüne Wirtschaft.
Ausbeutung von Mensch und Natur oder Zusammenleben in Einklang.
Das Recht des Stärkeren oder Gerechtigkeit.
2023 wollen wir GRÜNE ein neues Kapitel aufschlagen. Ein anderes Kapitel.
Wir stehen vor einer fundamentalen Veränderung. Sie muss tiefgreifend sein. Sie muss umfassend sein. Und sie muss schnell gehen. Die Herausforderungen sind immens. Diese Veränderung zu benennen – das braucht Mut. Diese Veränderung zu gestalten – das braucht Kraft, Wille, Überzeugung, Zusammenstehen.
Es ist einfacher zu sagen – wie FDP, glp, Sozialdemokrat*innen
– die Technik wird es richten. Die Innovation wird es richten. Das Geld wird es richten. Als hätte je die Technik, das Geld von sich aus den Weg in die Zukunft gezeigt.
Es ist einfacher zu sagen – wie Mitte, wie SVP, die Konservativen – dass die Vergangenheit die bessere Zukunft ist.
Als müssten wir nur lange genug rückwärts laufen, damit die erträumte Sicherheit unserer Vergangenheit uns wieder umhüllt.
Wir GRÜNE, die Vertreter*innen der politischen Ökologie, wir sind die einzigen, die den Mut haben, diese unbequeme Wahrheit zu formulieren: Wenn alles so bleibt, wie es ist, bleibt bald nichts mehr, wie es ist.
Einfach weiter so, ein paar Schräubchen gedreht – und dann wird alles gut: Das geht nicht auf. Back to the old normal; das ist schlicht und einfach nicht möglich.
Wir stehen am Ende eines Menschheits-Kapitels. Vermeintliche Gewissheiten von bisher fallen in sich zusammen.
Wandel durch Handel?
Technik gleich Fortschritt?
Kapitalismus bringt Demokratie?
Wirtschaftswachstum und wirtschaftliche Globalisierung bringen Wohlstand für alle?
Leere Worte sind das geworden. Worthülsen. Einige laufen hohl noch weiter. Bis sie kollabieren.
Wandel durch Handel. Was ist damit?
Europas Abhängigkeit von russischem Gas und Öl hat nicht etwa in Russland die Demokratie und die Menschenrechte gestärkt, sondern uns abhängig gemacht vom Kriegstreiber Putin.
Technik gleich Fortschritt. Was ist damit?
Die Elektroautos übernehmen… Aber welche? Es sind die elektrischen «Züribergtraktoren», die SUVs. Ist es intelligenter, für 80kg Lebendgewicht 2 Tonnen Blech durch die Gegend zu karren, wenn der Antrieb kein Benzinmotor ist? Nein. Da halte ich’s mit Habeck, der mal treffend sagte: «Die Verkehrswende ist mehr als die Elektrifizierung des Staus.»
Kapitalismus bringt Demokratie. Was ist damit?
China jedenfalls entwickelt sich nicht Richtung Demokratie. Sondern wird zum hochtechnischen Überwachungs-Albtraum, mit Social Scores und Echtzeitüberwachung der Bürger*innen. Und die Entwicklungen in den USA machen ebenso Angst, wie der Vormarsch der extremen Rechten in Umfragen und Wahlen in vielen Ländern Europas…
Wirtschaftswachstum und Globalisierung bringen Wohlstand für alle. Was ist damit?
Die fossile Wegwerfwirtschaft hat den globalen Norden reich gemacht, und weltweit das Klima erhitzt. Besonders betroffen von den Folgen aber ist der globale Süden. Wenn wir nicht umsteuern, werden 2070 3.5 Milliarden Menschen, vorab im globalen Süden, in Regionen leben, die im Schnitt – im Schnitt! – 29° Celsius heiss sind. So heiss ist es heute nur auf weniger als einem Prozent der Landfläche, vor allem in der Sahara.
Wir stehen am Ende eines Menschheits-Kapitels. Und wenn wir nicht gemeinsam ein neues Kapitel schreiben, ist das Buch zu Ende.
Wenn alles so bleibt, wie es ist, bleibt bald nichts mehr, wie es ist.
***
Wisst ihr, was mich wütend macht, in diesen letzten Wochen?
Da wird von rechts Wahlkampf gemacht als «Krieg der Gendersternchen».
Da wird von rechts Wahlkampf gemacht mit der brutalen Ausgrenzung von Mitmenschen.
Da wird von rechts Wahlkampf gemacht mit lächerlichen Polemiken über SRF Meteo.
Dabei ist es verdammt ernst.
Wir haben keine Zeit für die Ablenkungen der Rechten. Wir haben genug echte Probleme. Fundamentale Probleme.
Da wird von kühleren und wärmeren Sommern getwittert.
Und was empfiehlt uns die Chefredaktorin einer nicht so kleinen Zeitung in ihrem Kommentar als Lösung? Doch künftig einfach im Frühling oder Herbst in die Sommerferien zu gehen.
Problem solved.
Ach, wäre es doch so einfach!!
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Liebe GRÜNE
Ich bin kein «Doomer». Kein Berufspessimist. Kein Panikmacher. Aber dieses Jahr gehen Dinge ab, die mir Angst machen.
Drei Fakten:
Eins: Der Juli 2023 war global gesehen der heißeste Monat seit Aufzeichnungsbeginn. Und zwar nicht einfach ein wenig wärmer. Er war gleich um 0,3 Grad wärmer als die bereits rekordheissen Julimonate der Vorjahre – ein enormer Wärmesprung.
Zwei: In der Antarktis ist jetzt Winter. Da müsste sich eigentlich das Eis wieder bilden. Eis spiegelt die Strahlenenergie der Sonne zu 90 Prozent ab und verhindert eine Erwärmung der Wassertemperaturen. Aber dieses Jahr erreicht die Eisausdehnung in der Antarktis einen weiteren Tiefpunkt. Das bedeutet: Unsere Ozeane heizen sich weiter auf und beschleunigen den Fortschritt der Klimaerhitzung.
Drei: Die Oberflächentemperatur des Nordatlantiks. Die Hitze-Abweichung im Nordatlantik liegt inzwischen bei über 1,5 Grad vom Mittel 1982-2011. Für den Nordatlantik war kein Jahr war so warm wie 2023.
Ihr seht: Es ist wirklich ernst.
Derzeit treffen die Szenarien ein, die Wissenschaftler*innen als unwahrscheinliche Ausreisser berechnet haben. In den letzten zwanzig, dreissig Jahren haben sich die Werte in den Messbändern regelmässig verschoben – nun drohen wir bald Kipp-Punkte, Points of No Return, zu erreichen.
Wenn alles so bleibt, wie es ist, bleibt bald nichts mehr, wie es ist.
Aber ich kann euch noch etwas sagen: Ich will euch nicht mit der Angst zurücklassen. Sondern mit der Wut, aus der Mut wächst, und Tatkraft, und Lösungen.
Aufgeben – das ist keine Option. Das sage ich euch ganz persönlich: Wer ein Kind hat, kann die Zukunft nicht aufgeben.
Ich bin ins Gelingen verliebt, nicht ins Scheitern… Wir GRÜNEN, wir sind ins Gelingen verliebt, und nicht ins Scheitern!
Darum engagieren wir uns alle im Endspurt für unsere Klimafonds-Initiative.
Darum wollen wir heute unsere Solar-Initiative lancieren.
Darum stehen wir ein für mehr Gleichstellung, mehr Demokratie, mehr Inklusion.
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Darum engagieren wir uns alle im Endspurt für unsere Klimafonds-Initiative.
Für einen Green New Deal. Weil eine gerechte Klimawende nur kommt, wenn wir sie als gemeinsame Aufgabe der öffentlichen Hand verstehen. Und eine gerechte Klimawende braucht’s, auch eine gerecht finanzierte: Zusammengezählt erhitzen die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung das Klima stärker als die ganze ärmere Hälfte der Schweizer*innen.
Darum wollen wir heute unsere Solar-Initiative lancieren.
Weil wir wissen: Die Sonne gibt uns allein auf den schon gebauten, geeigneten Flächen, mehr als genug Energie, um die ganze Schweiz mit Strom zu versorgen. Statt teurer fossiler Notfallkraftwerke brauchen wir die immer günstigere Sonnenenergie.
Wir wollen in die fossilfreie Zukunft investieren, statt die alten fossilen Abhängigkeit vertiefen. Das macht auch volkswirtschaftlich Sinn: Denn die Sonne scheint gratis!
Darum stehen wir ein für mehr Gleichstellung, mehr Demokratie, mehr Inklusion.
Wir kämpfen, Schritt für Schritt, für die reale Gleichstellung der Geschlechter. Für das Recht auf Teilhabe, auf Demokratie auch von Menschen, die keinen Schweizer Pass haben.
Und wir werden heute die Inklusions-Initiative unterstützen, die sicherstellt, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte und Chancen haben, in unserer Gesellschaft.
Wir wissen: die Lösungen für die Zukunft sind da. Und wir kämpfen, mehr denn je, dafür, dass diese Zukunft eine lebenswerte Zukunft ist, eine würdige Zukunft für alle.
Wir wollen nicht die Katastrophe verwalten. Nein: Wir wollen die Veränderung gestalten. Gemeinsam. Wir und jetzt! Mehr denn je!