Die Grünen unterstützen mit Nachdruck die Absicht des Bundes, endlich einen Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel (NAP) zu erarbeiten. Ebenso begrüssen die Grünen den im vorgelegten Entwurf formulierten Anspruch Pflanzenschutzmittel „so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig“ einzusetzen. Denn eines ist klar: es braucht eine Trendwende in der Schweizer Pestizidpolitik. In den vergangenen Monaten und Jahren hat das Thema immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Sei es wegen des schlechten Zustands der Schweizer Gewässer, der generellen Beeinträchtigung der Biodiversität oder unabsehbarer Gesundheitsrisiken. Mit dem NAP soll sichergestellt werden, dass wichtige Ökosystemleistungen (Bestäubung, sauberes Trinkwasser etc.) auch künftigen Generationen zu Verfügung stehen und die Gesundheit der Bevölkerung und der LandwirtInnen nicht gefährdet wird.

Der vorliegende NAP-Entwurf ist aber lediglich ein kleiner und zaghafter Schritt in die richtige Richtung und weit davon entfernt eine Trendwende herbeizuführen. Es ist aufgrund der Problemlage ein umfassender Paradigmenwechsel – weg von chemisch-synthetische Pestiziden – als langfristiges Ziel für 2030 zu formulieren und mit dem Aktionsplan anzustreben.

Dazu fordern oder unterstützen die Grünen folgende Massnahmen:

Lenkungsabgabe auf Pestiziden. Der Pestizideinsatz hat hohe externe Kosten zur Folge. Mehrere Umweltorganisationen haben das Forschungs- und Beratungsinstitut Infras beauftragt, die finanziellen Nebenwirkungen der eingesetzten Pestizide zu errechnen. Bewertet wurden Gesundheits- und Umweltschäden und die Kosten, die sich aus dem Regulierungsaufwand ergeben. Dabei zeigte sich, dass die Landwirtschaft und die Allgemeinheit jährlich zusätzliche Aufwendungen von 50 bis 100 Millionen Franken tragen müssen. Dabei handelt es sich um sehr vorsichtige Schätzungen, da sich zum Beispiel Faktoren wie der Verlust der Artenvielfalt im Kulturland aufgrund der mangelhaften Datenlage im Moment nicht beziffern liessen. Das deutet darauf hin, dass die wahren Kosten noch höher zu veranschlagen sind. Zumindest die ermittelten externen Kosten sind durch die Verursacher zu tragen.
Es geht nicht an, dass die Umweltressourcen gratis genutzt und geschädigt werden, die Folgekosten aber die Bevölkerung zu tragen hat. Das rechtfertigt sich umso mehr, als die öffentliche Hand via Direktzahlungen die Biodiversität fördert bzw. fördern muss, die unter anderem durch den Einsatz von Pestiziden leidet. Mit einer Lenkungsabgabe lässt sich dieser Einsatz reduzieren. Das hilft Menschen, Tieren und der Umwelt. Die Höhe der Abgabe ist so zu bemessen, dass insgesamt die indirekten Kosten abgegolten sind. Es sind nach Möglichkeit Abstufungen nach dem Grad der Schädlichkeit vorzusehen.

Verbot von Pestizidverkauf an private AnwenderInnen und Verbot von Pestizidanwendung in öffentlichen Anlagen. Private und öffentliche Pestizidanwender gleichermassen in Pflicht nehmen: Schluss mit dem Schwarz-Peter-Spiel, wo jeder dem anderen die Schuld an den Rückständen in den Gewässern zuschiebt. Nur noch Bio-Mittel im öffentlichen und privaten Bereich – chemisch-synthetische Pestizide sind dort wie in Frankreich zu verbieten.

Anwendung chemisch-synthetischer Pestizide erschweren, Anreize für Alternativen schaffen. Produktionssysteme wie IP-SUISSE und Bio Suisse minimieren den Pestizideinsatz schon heute und setzen dies gleichzeitig am Markt in Wert. Sie sind darum konsequent zu fördern: mit Direktzahlungen, Forschung, Züchtung, Investitionshilfen, Absatzbeiträgen etc. unterstützen. Art. 18 DZV muss bei ÖLN-Betrieben konsequent umgesetzt werden (vgl. Massnahme 6.1.1.5), und somit wäre der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden nur noch in Ausnahmefällen erlaubt und der Anreiz zum Umstieg auf Bio oder IP gross. Bioprodukte sind zum Mehrwertsteuersatz 0% zu besteuern, während für Pestizide der volle Satz entrichtet werden soll.

Innovative Projekte der Wertschöpfungsketten anschieben und unterstützen. Insbesondere sind die Qualitätsvorschriften des Handels an runden Tischen zu revidieren. QuNaV, Ressourcenprojekte und Absatzförderung sind anzupassen und mit adäquaten Mitteln zu versehen. Dies entlastet letztendlich den Staat, indem Umweltleistungen vom Markt honoriert werden.
Schutz der pestizidfreien Parzellen. Gemäss heutiger Praxis haben die Nachbarn die Abdrift von Pestizid-Einsätzen auf ihren Parzellen zu tolerieren, solange die Ausbringung gemäss guter landwirtschaftlicher Praxis erfolgt. So gelangen Pestizide auf nahe gelegene Parzellen a) mit Kulturen, für welche das Pestizid nicht zugelassen ist, b) auf Bioparzellen, wo chemisch-synthetische Mittel nicht erlaubt sind, oder c) auf nicht-landwirtschaftliche Grundstücke (private oder öffentliche Flächen, Wald, Schutzgebiete, Gewässer). Statt Duldungspflicht durch die Betroffenen fordern die Grünen Schutzabstände zu Lasten der Parzellen des Pestizid-Anwenders (Verursacherprinzip).

Zulassungsverfahren verbessern. Es ist zu prüfen, wie das Schweizer Zulassungsverfahren verbessert werden kann, sodass es den internationalen Standards besser entspricht. Die Rolle der Umwelt-, Gesundheits- und Lebensmittelsicherheitsbehörde ist marginal, die Transparenz nicht gegeben. Es ist in westlichen Ländern zudem schon lange nicht mehr üblich, dass die Landwirtschaftsbehörde als Zulassungsbehörde funktioniert, da hier Doppelfunktionen und Interessenskollisionen unvermeidbar sind.

Chance jetzt nutzen! Die Schweiz ist beim Pestizideinsatz bestenfalls noch Mittelklasse. Der staatliche Handlungsspielraum ist grösser als in der EU, da die Pestizidproblematik nicht bilateral geregelt ist.
Ausserdem stellen die Grünen im Entwurf des Aktionsplans folgende Defizite fest:

Ungenügend definiertes Leitziel. Gemäss vorliegendem Entwurf gilt als Leitziel des NAP, die Risiken um 50% zu reduzieren. Dieses Ziel ist jedoch nicht terminiert und es fehlt ein Indikator, mit dem „Reduktion“ definiert und quantifiziert werden kann. Damit ist das Leitziel inhaltslos und letztlich nicht umsetzbar. Werden diejenigen, breit abgestützten Indikatoren gewählt, wie sie im Pestizidreduktionsplan Schweiz (PRP) vorgeschlagen worden sind, bleibt eine Reduktion von 50% allerdings weit hinter dem Machbaren zurück, da allein die behandelte Fläche mit kurzfristig realisierbaren Massnahmen um 50% reduziert werden kann, ohne Berücksichtigung der zahlreichen zusätzlichen Massnahmen, welche das Risiko des verbleibenden Einsatzes weiter mindern. Die Grünen fordern daher eine Risikominderung von mindestens 75%. Darüber hinaus sind alle Massnahmen mit quantitativen Umsetzungszielen zu versehen, was bei den Massnahmen, welche die Praxis des Pestizideinsatzes betreffen, fast überall fehlt. Aus den Umsetzungszielen sind messbare Wirkungsziele herzuleiten, die sich auf einen planbaren Zeitraum beziehen. Dieser Zeitraum schliesslich ist deutlich ambitionierter festzulegen als im jetzigen Entwurf. Wir fordern, den Zeithorizont des NAP und seiner Zielsetzungen auf 2022 (statt 2026) anzupassen.

Definition von Pflanzenschutzmittel ist undifferenziert. Der Aktionsplan behandelt chemisch-synthetische Pestizide in der Landwirtschaft gleich wie Bio-Pflanzenschutzmittel (z.B. Lockstoffe, Antagonisten, Rapsöl) und blendet dafür Biozide und die privaten Anwender weitgehend aus. Die Schweizer Definition von Pflanzenschutzmittel sorgt dabei immer wieder für Verwirrung. Hierzulande ist auch ein lebender, als Nützling eingesetzter Marienkäfer oder ein Lockstoff ein Pflanzenschutzmittel. Die Grünen fordern eine Reduktion der chemisch-synthetischen Pestizide und eine Verlagerung hin zu im Biolandbau erlaubten PSM an, nicht aber eine unspezifische Reduktion der PSM.

Kaum Verbesserungen der ungenügenden Transparenz bei Zulassung und Datenerfassung. Immer wieder wurde von Fach- und Umweltorganisationen auf die fehlende Transparenz des Bundes im Bereich Pestizide sowie die komplett ungenügende Datenlage hingewiesen. Die im vorliegenden NAP enthaltenen Verbesserungsmassnahmen beheben nur einen kleinen Teil der Defizite. Etliche zentrale Verbesserungsmassnahmen werden jedoch nicht berücksichtigt. Insbesondere fordern die Grünen die Erfassung der Pestizidflüsse bei den Anwendern, wie es in etlichen Ländern bereits seit langem Realität ist, ein umfassend transparentes Zulassungsverfahren, sowie die Etablierung eines permanenten Verbesserungsprozesses unter Einbezug aller relevanten Akteure.

Unzureichendes und nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Ambitionsniveau. Zahlreiche wirksame Massnahmen, wie sie in anderen Aktionsplänen zur Anwendung kommen oder wie sie im PRP gefordert werden, wurden nicht in den NAP einbezogen, ohne dass nachvollziehbar würde, aus welchen Gründen sie nicht integriert worden sind. Insbesondere die besonders wirksame Handlungsachse „Reduktion des Pestizideinsatzes“ (Reduce) wird nur mit sehr wenigen Massnahmen abgedeckt und berücksichtigt damit nur einen sehr kleinen Teil der möglichen und gut umsetzbaren Massnahmen. Durch die stark eingeschränkte Berücksichtigung wirksamer Massnahmen werden die Schäden, welche durch die Pestizide an Mensch und Umwelt entstehen, sowie die darüber hinaus existierenden Risiken des Pestizideinsatzes nicht im notwendigen und praktisch machbaren Ausmass reduziert. Dies zeigt das Beispiel Gewässer. Es ist inakzeptabel, dass ein Aktionsplan nur derart schwache Massnahmen definiert, dass damit nicht einmal die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden können.
Generell vernachlässigt der vorliegende NAP-Entwurf mit diesen ungenügenden Massnahmen die relevanten Rechtsgrundlagen für eine Pestizidreduktion (BV, USG, LwG, ChemG, NHG, GSchG, diverse Verordnungen) und missachtet das umweltrechtliche Vorsorgeprinzip, welchem im Bereich der Pflanzenschutzmittel eine besondere Bedeutung zukommt (Art. 1 Abs. 2 USG; der Begriff „Vorsorgeprinzip“ kommt im Aktionsplan nirgends vor). Aus den vorhandenen Rechtsgrundlagen ergibt sich damit zweifelsfrei, dass eine deutlich stärkere Verringerung der Pestizidbelastung als im jetzigen Entwurf vorgesehen, gesetzliche Pflicht ist.

Es fehlt eine Vision mit einem längerfristigen Entwicklungsziel. Der NAP muss aufzeigen, in welche Richtung der Umgang mit Pestiziden sich längerfristig entwickeln soll. An dieser Vision sind letztlich die Massnahmen zu messen. Eine solche Vision fehlt im jetzigen Entwurf. Viele Indizien weisen darauf hin, dass der systematische Einsatz von Pestiziden in der Nahrungsmittelproduktion längerfristig ein Auslaufmodell ist. Eine Vorreiterrolle der einheimischen Landwirtschaft kann die einheimische Produktion im internationalen Markt positionieren und ihre Produkte abheben vom ausländischen Qualitätsniveau. Ein zögerlicher NAP, welcher weit hinter dem Machbaren zurückbleibt, tut der Schweizer Landwirtschaft keinen Gefallen.

Unklarer Prozess. Der Entwurf spricht von einem iterativen Prozess für die Weiterentwicklung des Aktionsplans ohne diesen zu konkretisieren. Es ist sinnvoll, den Prozess für die Erarbeitung und Umsetzung iterativ zu gestalten. Um sicherzustellen, dass auch in Zukunft finanzielle und andere Ressourcen für eine optimale Begleitung des Prozesses zu Verfügung stehen, sollte hier genauer ausgeführt werden in welchen Intervallen der Aktionsplan erneuert und ergänzt wird (Zeitplan), wie die Evaluation der aktuellen Massnahmen ablaufen soll und neue Massnahmen entwickelt werden (Managementplan) und welche Kosten dadurch entstehen (Finanzplan). Die Information muss umfassender sein, als die unter Pkt. 8 (Berichterstattung und Evaluation) aufgeführte.

Vollständige Vernehmlassungsantwort (PDF)