Präsidialrede von Lisa Mazzone – DV 17.08.2024
Liebe GRÜNE
«Wir hoffen, dass wir nicht in Vergessenheit geraten.»
Das sind die Worte von Wanda Dado, der Bürgermeisterin von Cevio, und Gabriele Dazio, dem Bürgermeister von Lavizzara. Ich habe sie letzte Woche im Vallemaggia getroffen. Wir haben über die Unwetter gesprochen, die die Region verwüsteten und mehrere Todesopfer forderten.
Hochwasser, Murgänge und Erdrutsche zerstörten Häuser, Bauernhöfe, Felder, Sporthallen, Brücken, Strassen und Restaurants. Wie es den Bewohner*innen dabei geht? Sie stehen natürlich unter Schock.
Nein, wir vergessen Wanda und Gabriele nicht. Wir vergessen weder ihren Mut noch ihre Entschlossenheit. Wir vergessen dieses wunderschöne Stück Land nicht unter den Trümmern dieser Unwetter.
Die Verstärkung und Häufung von Extremereignissen ist auf die globale Klimaerhitzung zurückzuführen. Die Folgen für Mensch und Natur sind dramatisch. Der Bundesrat versucht, das Wort «Klima» unter den Teppich zu kehren. Wir GRÜNE handeln.
Der Charakter unseres Landes wird durch seine Berge geprägt. Und genau diese Bergregionen mit ihrer einzigartigen Kultur und Wirtschaft sind heute bedroht. Die Schweiz erwärmt sich in diesen Regionen doppelt so schnell wie der weltweite Schnitt. Wir müssen diese Gebiete schützen und sicherstellen, dass sie sich an die neue Realität anpassen können.
Heute schätzt man die Kosten der Unwetterkatastrophen allein im Wallis und Tessin auf 160 bis 200 Millionen Franken Schaden an privaten Gebäuden. Misox und Brienz sind hier nicht einmal mitgezählt, und auch die Schäden an der öffentlichen Infrastruktur nicht. Diese werden sich in Milliardenhöhe beziffern. Das sind die Kosten des Nichtstuns. Der Bund sagt es selbst: Knapp 40 Milliarden für jedes Jahr, in dem wir nichts tun. Das ist gewaltig – sowohl menschlich als auch für unsere Wirtschaft.
Und was verabscheut die neoliberale Rechte am meisten? Kosten.
Doch die SVP lässt durch ihren Präsidenten verkünden: «Mir ist wärmer lieber als kälter. Für die Bauern ist die Klimaerwärmung nicht schlecht», und der Bundesrat für Umwelt stimmt eifrig zu: «Ich ziehe die Wärme der Kälte vor.» Und die gesamte Rechte versteckt sich hinter einem lächerlichen CO2-Gesetz, das auf Klimadumping im Ausland setzt. Die Schweiz zeichnet sich dadurch aus, Schlupflöcher für ihre internationalen Verpflichtungen zu finden. Statt im Inland in den raschen Ausstieg aus den fossilen Energien zu investieren, kaufen wir billige Reduktionszertifikate aus dem Ausland. Die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit? Werden drastisch gekürzt. Die Verantwortung für die Klimakrise wird ignoriert, anstatt die Länder des «globalen Südens» bei der Anpassung an die Klimakrise zu unterstützen.
Nein, die politische Mehrheit der Schweiz zeigt keine Solidarität. Und sie übernimmt keine Verantwortung. Weder global noch national. Und der neoliberale Bulldozer Avenir Suisse? Schlägt vor, dass gewisse Alpentäler aufgegeben werden. Gewisse Infrastruktur soll dem Verfall überlassen werden. Weil dort nur wenige hundert Menschen leben. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei schlecht. Wie zynisch.
Das sollen sie Wanda und Gabriele sagen. Den Bäuerinnen und Bauern, von denen 40 Prozent ihren Betrieb im Berggebiet führen. Das sollen sie Heidi und ihrem Grossvater sagen, dem Schellen-Ursli und den Tourismusbüros, die das Image der Schweiz verkaufen.
Wir GRÜNE, wir handeln. Denn wir wissen: Die Dringlichkeit der Klimakrise erfordert ehrgeizige Massnahmen. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen. Das hat für uns oberste Priorität. Nutzen wir diese Ausgangslage auch dafür, unsere Gesellschaft glücklicher zu machen.
Wir GRÜNE wehren uns auch gegen Rückschritte: Autobahnen mit sechs oder noch mehr (!) Spuren. Die Schweiz braucht weder mehr Beton auf Flächen, die für die Natur und die Landwirtschaft vorgesehen sind, noch mehr Verkehr, der ihre Städte erstickt. Die Schweiz braucht die Biodiversität, um sich vor Überschwemmungen zu schützen und um die Klimakrise zu bekämpfen. Deshalb am 22. September: JA zur Biodiversitätsinitiative und am 24. November: NEIN zu den Mega-Strassen!
Und wir sind auch bereit für einen weiteren Abstimmungstermin, Herr Rösti, um neue AKW in der Schweiz zu bekämpfen. Atomkraft hat keine Zukunft, unsere Zukunft sind erneuerbare Energien. Wir sind bereit für das Referendum. Und wir werden es gewinnen!
Die Klimaerhitzung ist nicht nur für die Bergregionen ein Problem, sondern auch in den Städten. Hitzewellen machen unsere Sommer zur Hölle. Sie machen uns krank und führen zu sozialen Problemen. Gute Gesundheit und Lebensqualität ist zu einem Luxus geworden, der von der eigenen finanziellen Situation abhängt. Es kommt auch darauf an, wo man wohnt und wie die Wohnung aussieht. Hat man einen Garten oder einen Balkon? Die Karte der Sterblichkeitsrate während Hitzewellen, aufgeschlüsselt nach Quartieren in Grossstädten, zeigt deutlich, wie sozialen Ungerechtigkeiten durch die Klimakrise weiter verschärft werden. Das darf doch nicht sein! Wir GRÜNE verbessern das Leben in den Städten. Wir sorgen dafür, dass alle Menschen in einer gesunden Umwelt leben können.
Es handelt sich dabei nicht um das Privileg eines Bundesrats in seinem klimatisierten Büro, sondern um ein Menschenrecht! Das hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Frühling feststellt. Dank der Hartnäckigkeit der KlimaSeniorinnen. Sie haben Geschichte geschrieben. Ob es den Herren Anwälten im Ständerat passt oder nicht.
Ich kenne diese Anwälte gut. Sie sind ehemalige Kollegen von mir. Ich hätte nie gedacht, dass sie eine Erklärung verabschieden, die gegen die Rechtsstaatlichkeit verstösst. Und trotzdem haben sie es getan. Sie stellen die Gewaltenteilung in Frage.
Sie kritisieren die «fremden Richter» – wie wir es von der SVP bereits kennen. Doch damals – vor ein paar wenigen Jahren – haben die gleichen Leute mit uns gegen die SVP-Initiative gekämpft! Damals verbündeten wir uns gegen Rechtspopulismus. Gemeinsam waren wir erfolgreich: Nein zur Durchsetzungsinitiative! Nein zur Anti-Menschenrechts-Initiative, Nein zur Kündigungsinitiative!
Was ist also passiert? Wie kann es sein, dass diejenigen, die mit uns gegen den Rechtspopulismus kämpften, ihn jetzt unterstützen?
Dabei haben wir die Wahl: Offenheit und Verantwortung oder Isolationismus und Egoismus. Diese Wahl betrifft auch die Frage der Beziehung zur EU. Und ich rufe alle politischen Kräfte dazu auf, dem Rechtspopulismus erneut gemeinsam entgegenzutreten. Wir müssen unsere Differenzen überwinden, um zu erkennen, was uns eint, was uns verbindet: Freiheit für alle, Gleichstellung für alle, eine auf Fakten basierende öffentliche Debatte, das Streben nach Zusammenhalt statt Spaltung und nach Gerechtigkeit statt Willkür.
Nein, Herr Pfister, Sie werden nichts gewinnen, wenn Sie die Kampagne der SVP führen, statt gemeinsam mit uns die Initiative gegen die Freizügigkeit zu bekämpfen.
Zusammen als Bollwerk gegen rechts – in der Schweiz, in Europa und weltweit. Gemeinsam mit allen Kräften, die für demokratische Werte und den Rechtsstaat einstehen. Deshalb setzen wir uns entschlossen für die Einhaltung des Rechts und gegen die «Gewalt des Stärkeren». In der Ukraine und im Gazastreifen muss unser Kompass das Völkerrecht sein. Wir erwarten von Bundesrat Cassis, dass er sich endlich für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza und sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt – im Einklang mit der Rolle der Schweiz. 40’000 Tote sind 40’000 zu viel. Kriegsverbrechen und andere Verstösse gegen das Völkerrecht müssen endlich aufhören.
Auch in der Schweiz setzen wir uns für eine funktionierende Demokratie ein.
Deshalb haben wir gegen die AHV21 und die Erhöhung des Frauenrentenalters Beschwerde eingereicht. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat milliardenschwere Fehler in den Finanzprognosen der AHV aufgedeckt. Die mit nur 50,5 Prozent gewonnene Abstimmung gegen die Meinung der grossen Mehrheit der Frauen, der Romandie und des Tessins beruhte somit auf falschen Informationen.
Mit unserer Klage wollen wir das Vertrauen in die Demokratie wiederherstellen. Und das verlorene Rentenjahr von uns Frauen zurückholen!
Und im September sagen wir es erneut: Wir wollen keine weitere Senkung der Frauenrenten, auch nicht in der zweiten Säule! Wir wollen keine neue Generation von Frauen, die im Alter von prekären Arbeitsverhältnissen bedroht sind. Genau die, die von der Erhöhung des Rentenalters betroffen sind.
Ja, Frauen müssen besser abgesichert werden. Aber nicht, indem ihre Renten gekürzt werden, während die Finanzindustrie mit den Rentenersparnissen immer sattere Gewinne macht.
Nein, das vergessen wir nicht. Wir vergessen die gebrochenen Versprechen gegenüber den Frauen nicht. Wir vergessen die Bergregionen nicht. Wir vergessen, die Menschen, die unter der Hitzewelle leiden, nicht. Wir vergessen die Menschenrechte in der Schweiz und in der Welt nicht.
All das vergessen wir nicht, weil wir uns engagieren. Unser Engagement basiert auf dem Bewusstsein für Ungerechtigkeiten überall auf dieser Welt, die heutige und künftige Generationen betreffen. Unser Engagement ist die treibende Kraft, gemeinsam eine bessere Welt zu schaffen.
Bevor ich Präsidentin wurde, habe ich über den Gegenwind gesprochen, der uns GRÜNEN entgegenweht. Doch im Frühling durfte ich über 1’000 km mit dem Zug durch die Schweiz reisen. Ich habe an unzähligen Treffen Menschen getroffen, die die Klimakrise bewegt, die sich für eine grünere und solidarischere Welt einsetzen. Es war schön zu sehen, wie viele wir sind und wie viel Kraft wir haben!
Und ich sage Ihnen: Wir GRÜNE sind in Form. Wir sind viele – wir sind voller Elan. Jetzt gilt es uns laut und deutlich zu behaupten. Damit unsere Stimme und unsere Visionen gehört werden. Für unseren Treffpunkt: Zukunft!