Für die Aufrechterhaltung des bilateralen Wegs braucht es mehr als nur vage Ankündigungen: Der Bundesrat muss auch die heiklen Punkte wie die Personenfreizügigkeit anpacken. Sonst ist seine Strategie bereits im Vorhinein zum Scheitern verurteilt.
Sibel Arslan, Nationalrätin BS, Mitglied APK

Der einseitige Abbruch der Verhandlungen für ein institutionelles Rahmenabkommen hat sich als schwerwiegender strategischer Fehler des Bundesrates erwiesen – zumal dieser sich offensichtlich fast ein Jahr lang nicht auf einen Plan B verständigen konnte. Erst die Ankündigung einer Europa-Initiative durch die GRÜNEN und die Operation Libero hat im Herbst 2021 eine neue Dynamik ausgelöst – innerhalb des Bundesrates sowie bei den übrigen Parteien. Dies ist zu begrüssen, denn die Klärung der institutionellen Fragen ist der Schlüssel zum Ausbau der Beziehungen Schweiz-EU oder nur schon zur Aufrechterhaltung des bilateralen Wegs.

Angesichts der engen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vernetzung, der klimapolitischen Herausforderungen sowie den gegenwärtigen Angriffen auf die Demokratie, das Völkerrecht und den Frieden in Europa ist klar, dass die Beziehungen zu unserer wichtigsten Partnerin stabilisiert und vertieft werden müssen. Die Schweiz ist geographisch, historisch, ökonomisch und kulturell ein Teil Europas. Vermeintlich souveränes Abseitsstehen ist sowohl in Bezug auf das bilaterale Vertragswerk wie auch im Hinblick auf die Sanktionen gegenüber Russland keine Option mehr.

Doch die Zeit drängt und die Glaubwürdigkeit des Bundesrates in Brüssel ist schwer angeschlagen. Der Bundesrat muss erst noch beweisen, dass es ihm ernst ist mit der Konsolidierung der Beziehungen zur Europäischen Union. Der heutige Entscheid reicht dafür nicht aus, viele Fragen bleiben offen. Nötig ist nun ein Zeitplan für konkrete Verhandlungen, eine Verstetigung des Schweizer Beitrags zur europäischen Kohäsion als Akt der Solidarität sowie ein glaubwürdiges Bekenntnis, dass die Klärung der institutionellen Fragen auch die sogenannt heiklen Themenbereiche wie die Personenfreizügigkeit umfasst. Ansonsten ist bereits heute absehbar, dass der Vorschlag des Bundesrates bei der Europäischen Union keinen Erfolg haben wird – und dass der Bundesrat somit zum Schaden der Schweiz weiter auf Zeit spielt. Die GRÜNEN werden darum zusammen mit der Operation Libero und weiteren Partner*innen auch die Vorbereitungen für die Europa-Initiative weiter vorantrieben.