40 Jahre GRÜNE Schweiz: «Wir mussten die Bewegung bündeln»
Wir nutzen die Gelegenheit für einen Blick zurück zu den Anfängen. Mit Bernhard Pulver, dem ersten Generalsekretär der GRÜNEN Schweiz.
Bernhard, was hat dich vor über 40 Jahren motiviert, in die Politik einzusteigen?
Entscheidend war die Umweltbewegung in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre. Mit 12 Jahren nahm ich zum ersten Mal in meinem Leben an einer Demo teil, für den Baustopp von Atomkraftwerken. Da meine Mutter aus dem Simmental stammt, hat mich auch der dortige geplante Autobahnbau beschäftigt. Hinzu kamen Hausabbrüche im Quartier, Stadtentwicklungsthemen und anfangs 80er-Jahre die Friedensbewegung mit ihren riesigen Kundgebungen.
Du hast die Gründung einer schweizweiten Grünen Partei stark mitgeprägt. Wie hast du diese Zeit erlebt?
Seit den 70er-Jahren versuchten immer mehr Vertreter*innen von sozialen Bewegungen, den Sprung in die Parlamente zu schaffen. Für mich war es selbstverständlich, dass wir diese Bewegungen bündeln mussten, um gemeinsam stärker zu sein: Die Zeit war reif für eine schweizweite Grüne Partei, wie es sie in anderen europäischen Ländern bereits gab. Im Winter 1983 haben wir also verschiedenste Organisationen nach Bern eingeladen zur Gründung einer schweizweiten Grünen Partei. Der Saal im Casa d’Italia quoll fast über vor Menschen.
Was waren die Herausforderungen bei der Gründung?
Unsere grösste Stärke in der Gründungszeit war gleichzeitig die grösste Herausforderung: Die unglaubliche Vielfalt an Menschen und Bewegungen, die sich bei uns zusammenfanden. Nach vielen Stunden hitziger Grundsatzdiskussionen wurde klar, dass es nicht wie anfänglich geplant eine einzige, sondern gleich zwei nationale Dachorganisationen, geben wird: Die Föderation der grünen Parteien der Schweiz und die Grüne Alternative Schweiz. Für mich war dieser zwischenzeitliche Bruch eine grosse Enttäuschung.
Wer waren die Menschen, die die GRÜNEN mitgegründet haben? Was hat sie vereint?
Wir wollten einen anderen Umgang mit der Natur. Daneben trieb uns vor allem auch eine Offenheit für Neues an. Wir wollten keine traditionelle Partei sein. Wir wollten das Neue aufnehmen, das in der Luft lag, und waren bereit, uns auf neue Felder einzulassen, auch wenn es ein Abenteuer war. Ich denke, diese Aufbruchstimmung hat uns menschlich am meisten verbunden.
In welchen Themen hat sich diese Aufbruchstimmung gezeigt?
Es ging um Themen, welche die traditionellen Parteien bis anhin unzureichend behandelt hatten: Alternative Lebensformen, Alternativen zum traditionellen Familienbild, Abrüstung und den Abbau strenger Hierarchien. Freiräume, Freizeit und Kultur sollten eine wichtigere Rolle spielen: Für ein erfülltes Leben neben der Erwerbsarbeit. Die GRÜNEN haben generell immer viel Lebensfreude in die Politik gebracht.
Und heute?
Wir GRÜNE sind in diesen 40 Jahren stark gewachsen, haben Generationenwechsel hinter uns und immer mehr Parlaments- und Regierungsverantwortung übernommen. Ich bin stolz auf uns, dass wir auch heute noch mit der gleichen, ehrlichen Grundhaltung mutige Politik machen und uns dennoch ständig neu zu erfinden wissen. Eigentlich geht es doch immer noch um die gleiche Frage, wie zur Zeit der Gründung: Was ist wichtig im Leben und in einer Gesellschaft?
Bernhard Pulver ist der erste Generalsekretär der GRÜNEN Schweiz und ehemaliger Berner Regierungsrat. Bei den eidgenössischen Wahlen 2023 kandidiert er als Ständerat für den Kanton Bern.