Liebe GRÜNE,

Wir treffen uns heute in Brig. Die Stadt ist Zeuge des Austauschs zwischen Italien und der Schweiz. Ihr seid alle mit dem Zug gekommen, nehme ich an!  Seid ihr durch den Lötschberg oder den Simplon gefahren? Beide Bauwerke sind Ausdruck dafür, wie schwer die Schweiz sich damit tut, anzuerkennen, welchen Beitrag Migrantinnen und Migranten zu unserer Gesellschaft und unserem Wohlstand leisten. 

Bei der Eröffnung des Tunnels im Jahr 1900 sagte der Bauleiter ganz offen, dass «der Bau unserer Eisenbahnen (…) ohne die Hilfe des italienischen Arbeiters, der widerstandsfähiger und fügsamer als der Schweizer ist, fast unmöglich gewesen wäre». Der Bau wäre auch viel teurer gekommen, weil Schweizer nicht zu solchen Löhnen arbeiten wollten. Sie konnten es sich leisten. 

In Wirklichkeit war nicht nur der Lohn miserabel, sondern auch die Arbeitsbedingungen waren schrecklich. In dem von Hand gegrabenen Tunnel herrschten Temperaturen von bis zu 45 Grad. Die entweder heissen oder kalten Quellen überfluteten den Tunnel regelmässig. Sowohl auf der Lötschberg- als auch auf der Simplon-Baustelle verloren Dutzende italienische Minenarbeiter ihr Leben.  

Ja, die Schweiz verdankt ihren Wohlstand Migrant*innen. Jenen von damals. Und jenen von heute, die ebenfalls unter teils katastrophalen Bedingungen dafür sorgen, dass unsere Strassen sauber sind, unsere Kinder, unsere Kranken und unsere Senior*innen versorgt sind.  Damals wie heute fährt die Schweiz sehr gut damit.

Euch, liebe GRÜNE, ist das bewusst. Und dennoch ist es unverzichtbar, gelegentlich auf diese Zusammenhänge hinzuweisen. Weil es in der Öffentlichkeit zu oft vergessen geht. Es ist auch – ganz käuflich – eine Frage des Profits und der Privilegien. Und die SVP versucht nicht einmal, diesen Widerspruch zu verbergen. EMS Chemie wirbt aggressiv in Deutschland, da es in der Schweiz schwierig ist, Fachkräfte zu finden. Während ihre Chefin Magdalena Martullo-Blocher die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union abschaffen will.  Arbeitskräfte ja, aber ohne Freiheit. Und auch ohne Rechte.

Die FDP, die selbsternannte Partei der Wirtschaft und der Freiheit, erwägt sogar eine ultra-bürokratische Migrationssteuer.  Trotz der Slogan-Äusserungen weiss die FDP, dass die Schweiz ohne Migration nicht funktioniert. Daher hat sie strategisch entschieden, die Schwächsten anzugreifen. Diejenigen anzugreifen, die keine Wirtschaftslobby haben, um sie zu verteidigen. Diejenigen anzugreifen, die von der Festung Europa ausgeschlossen sind. Sans-Papiers. Oder Asylsuchende.

Die FDP lässt sich von nichts mehr aufhalten. Weder von den Menschenrechten noch von den Genfer Konventionen noch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Enthemmt und rechtslastig opfert sie die Schwächsten, um das utilitaristische Kommen der anderen zu legitimieren. Ein einziges Beispiel. Aus jüngster Zeit. Erst gestern haben die bürgerlichen Parteien beschlossen, dass Menschen, die sich gegen ihre Rückschaffung wehren, unter Zwang medikamentös ruhiggestellt werden dürfen. Damit die Behörde vollständig über sie verfügen kann.

Das bedeutet: Die Rechtsbürgerlichen sind der Ansicht, dass der Aufenthaltstitel unterschiedliche Rechte zur Verfügung über den eigenen Körper verleiht. Das bedeutet eine zweite Sache: Die universellen Menschenrechte werden frontal angegriffen. Das bedeutet eine dritte Sache: Jeder kann betroffen sein. Denn jeder kann sich einmal in der Minderheit befinden.

Dagegen sprechen wir GRÜNE über die Realität. Migration ist die Realität der Schweiz. Und sie bereichert die Schweiz. Im wörtlichen und im übertragenen Sinn.

Dagegen verteidigen wir GRÜNE die Menschenrechte. Sowohl in der Schweiz als auch in der Europäischen Union kamen im letzten Jahr 2 Promille der Bevölkerung als Asylsuchende an. Das sind viermal weniger als die Kinder, die im letzten Jahr in der Schweiz geboren wurden. Es gibt nicht zu viele Flüchtlingen. Es gibt zu wenig Schutz für die, die ihn brauchen.

Liebe GRÜNE, gemeinsam bekämpfen wir die isolationistische Initiative der SVP gegen eine Schweiz mit 10 Millionen Einwohner*innen. Und wir machen es, um zu gewinnen. Wir wollen gemeinsam ein besseres Leben führen. Und dafür packen wir die wirklichen Ungerechtigkeiten an: die ungerechte Verteilung von Raum, Reichtum und Chancen. In der Schweiz und auf der ganzen Welt. Das Problem ist nicht der Platz, sondern die Art und Weise, wie er geteilt wird. Für unsere Werte aufzustehen ist wichtiger denn je.

Donald Trump ist zurück im Weissen Haus. Sein Traum? Der Sheriff zu werden, der allein die Gesetze der Welt diktiert. Im Interesse der reichsten Männer der Welt, der Tech-Oligarchen. Sein Plan? Die extreme Rechte in Europa etablieren. Um die EU zu neutralisieren. Seine direkten Opfer? Migrant*innen, Minderheiten und Frauen. Seine indirekten Opfer? Die Umwelt und die Grundrechte. Und natürlich die Ukrainer*innen und die Menschen in Gaza. Insbesondere sie.

Im reinsten Geiste des McCarthyismus setzt er seine Autorität durch: Bücher werden verboten. Forschungsprogramme werden gestrichen. Trans Personen werden aus der Armee geworfen. Frauen haben nicht mehr überall das Recht auf Abtreibung. Es ist an der Zeit, Widerstand zu leisten.

Ich wiederhole, Frau Bundespräsidentin Keller Sutter: Es ist an der Zeit, unsere Werte zu verteidigen. Die Schweiz zu verteidigen. Nein, die Angriffe von J.D. Vance auf die europäischen Demokratien sind nicht schweizerisch. Nein, wir wollen keine gefährliche Annäherung an die USA unter Trump. Die Schweiz muss aufhören zu lavieren. Die Schweiz muss Haltung zeigen.

Mit der EU für das Völkerrecht, für die Demokratie und für die Menschenrechte. Es sind die Bedingungen für die Existenz der Schweiz selbst, die infrage gestellt werden. Ein kleines Land, mit wenig natürlichen Ressourcen. Und eines der Länder, die am meisten von der Globalisierung profitiert haben. Und von fehlenden globalen Regeln zum Schutz der Menschen und der Umwelt.

Dasselbe gilt für Schweizer Grosskonzerne wie die UBS, Novartis und Roche: Profit, Profit, Profit. Und die Augen verschliessen. Trump schreibt vor und sie führen aus. Trump sagt: trans Personen müssen verschwinden. Und Schweizer Konzerne streichen Inklusions- und Diversity-Programme. Trump sagt: Frauen und Gleichstellung sind Trigger-Worte und Schweizer Konzerne passen ihre Webseite an. Trump sagt: drill, baby, drill und Schweizer Konzerne applaudieren in Davos. Es war wohl nur Pinkwashing. Und Greenwashing.

Kurzfristigen Profit vor die Rechte von allen zu stellen, hat kurzfristige Konsequenzen. Und zwar gravierende. Zunehmende Gewalt, Diskriminierung und Einschränkungen unserer Rechte. Und es beweist vor allem: Selbstregulierung funktioniert nicht. Für mehr Ethik können wir nicht auf die Wirtschaft zählen. Sonst droht bei schrecklichen Regierungswechseln das Recht des Stärkeren zu gelten.

Vor fünfzehn Jahren sang die Rechte das Loblied des Freihandels: Dank ihm würde ein Wind der Demokratisierung und Emanzipation über die Welt wehen. Falsch: Der deregulierte Markt hat Autokraten und Diktatoren nur gestärkt. Nein, wir wollen kein Freihandelsabkommen mit den USA, Mercosur und China. Wir wollen Fair Trade mit globalen Spielregeln.

Es wird behauptet, Trump habe eine globale Unordnung gebracht. Das ist nur halb wahr. Schon vor Trumps Amtsantritt herrschte in der Welt ein grosser Mangel an Regeln.

In den letzten Jahren hat aber die EU grosse Fortschritte gemacht. Bei der Klimaneutralität, bei der Konzernverantwortung oder der Lohngleichheit. Die Schweiz muss mit ihr zusammenarbeiten für eine Welt der gleichen Chancen und nicht der Privilegien. Gegen Privilegien und Chancenungleichheit gehen Tausende Serb*innen, Georgier*innen oder Türk*innen auf die Strasse. Mit einem Durst nach Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit, Klimagerechtigkeit, globale Gerechtigkeit.

Trumps erste Amtszeit hat soziale Bewegungen von bisher ungekanntem Ausmass hervorgebracht. #MeToo, Klimastreik oder black lives matter. Doch die progressiven Kräfte in den USA befinden sich noch immer in einem Zustand der Betäubung. Wir sind es nicht. Wir sind da und wir sind mobilisiert. Denn wir GRÜNE lassen für unsere Werte nicht locker. Und wir sind gemeinsam stärker.

Liebe GRÜNE, erinnert euch an Kaiseraugst. Und an all die Mobilisierungen gegen die Atomkraft. Das wart ihr, liebe GRÜNE! Und der Atomausstieg, das wart wieder ihr. Und die Energiewende, das seid immer noch ihr. Und das Nein zur Rückkehr der Atomkraft, das werdet wieder ihr sein!

Albert Rösti will neue Atomkraftwerke in Leibstadt und Gösgen? Um das zu erreichen, muss er gegen uns gewinnen. Denn wir werden nicht zulassen, dass das Rad der Geschichte von ihm zurückgedreht wird. Er versucht, die Energiewende zu sabotieren und die erneuerbaren Energien zu gefährden. Atomkraft, ob zivil oder militärisch: wir wollen sie nicht, wir wollen sie nicht. Wie wir es an den Demos skandieren. Atomkraft ist gefährlich, macht uns von ausländischem Uran abhängig und produziert für hunderttausende Jahre lang radioaktiven Abfall. Atomkraft ist überteuert, zentralisiert und nicht flexibel. Atomkraft ist unvereinbar mit der Entwicklung erneuerbarer Energien. Kein Weg zurück in die 80er Jahre.

Die Energiewende ist eine Demokratisierung der Energieproduktion, mit einer lokalen Produktion und der Schaffung von nachhaltigen Arbeitsplätzen. Die Energiewende ist die Zukunft.

Wenn ich schon bei Bundesrat Rösti bin. Diese Woche hat er in der NZZ ein Interview gegeben. Er hat sich darin beschwert über die Angriffe der GRÜNEN. Wir würden Dinge unterschlagen, wir würden Unwahrheiten verbreiten. Unsere Kritik an der Klimapolitik des Bundesrats sei nicht nachvollziehbar. Mich hat diese Empfindlichkeit ehrlich gesagt ein bisschen erstaunt.

Erinnert Ihr euch noch an die Wahlen 2019? An dieses Plakat? Und wer war damals SVP-Parteipräsident? Derselbe Albert Rösti, der damals alle Parteien links der SVP pauschal als Ungeziefer darstellte, der sagte, diese Parteien wollten die Schweiz zerstören, dieser Herr Rösti wirft uns unfaire Kritik vor? Weil wir uns wehren, wenn klimafreundliche Volksentscheide im Handstreich umgestossen werden? Weil wir Einspruch erheben, wenn das Gebäudeprogramm einfach eingestellt wird? Weil wir nicht applaudieren, wenn der Bundesrat dem ÖV einfach so das Geld entzieht?

Mit Verlaub, Herr Bundesrat: Das ist ein bisschen zu viel. Wenn Sie unsere Kritik nicht nachvollziehen können: Wir sind jederzeit bereit für eine offene Diskussion über die Klimapolitik des Bundesrats. Wenn Sie wollen, sind wir da. Aber es muss eine öffentliche Debatte sein. Keine unwidersprochenen Aussagen in einem Interview. Eine öffentliche Debatte auf Augenhöhe. Wir, liebe Grüne, politisieren mit Argumenten, Überzeugung und Hoffnung.

Liebe GRÜNE, Ich bin stolz darauf, Präsidentin einer so grossartigen Partei zu sein. Gemeinsam lassen wir unsere Vision Wirklichkeit werden. Mit Ausdauer, Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit. So steht heute Brigitte Wolf vor euch. Egal, ob es im Wallis sonnig oder stürmisch ist: sie ist mit starken Überzeugungen und vollem Engagement da. So wurde Céline Vara letzten Wochenende neue Regierungsrätin in Neuenburg. Und so sind unsere Ideen stark, liebe GRÜNE.  

Ich bin stolz auf eure Arbeit. Auf unsere Arbeit.