Grün geht nur sozial!

Der Countdown läuft. Es sind noch genau 50 Tage bis zu den Wahlen. Und es steht viel auf dem Spiel. Machen wir Menschen weiter wie bisher, fahren wir die Natur an die Wand. Eine junge Frau der Klimastreikbewegung hat mir diese Woche gesagt, dass sie keine Zeitungen und Tweets mehr liest. Sie hält es nicht mehr aus. Sie hält die Nachrichten über das Artensterben nicht mehr aus. Sie hält die Bilder des brennenden Amazonaswaldes nicht mehr aus. Sie hält die Hitliste der Hitze-Rekorde nicht mehr aus. 46 Grad heiss war es diesen Sommer in Südfrankreich. 21 Grad am Nordpol. Die Gletscher in unseren Alpen, das Eis in der Arktis zerfliessen, das Matterhorn bröckelt. Nichts ist mehr, wie es war.

Liebe GRÜNE, Cher Verts, chères Vertes, cari verdi!

Es geht längst nicht mehr um mehr oder weniger schlimm. Es geht um die Substanz. Und es geht viel zu schnell und immer schneller. Deshalb macht die junge Frau, die ich erwähnt habe, auch in der Klimastreikbewegung mit. Denn eines ist für sie klar – und das ist auch für uns GRÜNE klar: Wir schauen nicht zu, wie die Menschen ihre natürlichen Lebensgrundlagen zerstören. Wir wollen es ändern. Wir wollen eine lebenswerte Zukunft schaffen. Das ist und das war schon immer die raison d’être unserer Partei. Wir GRÜNE sind die Partei, die sich für diese #Klimawahl2019 nicht neu erfinden muss. Und darauf bin ich stolz.

Den Klimaschutz priorisieren – das ist hier in der Schweiz eine Frage des Willens und nicht der Machbarkeit. Wir kennen die Technologien, wir kennen die Anreiz- und Förderinstrumente, wir sind ein reiches Land. Die knappste Ressource ist der politische Wille. Es würde auch anders gehen: Hätten wir die Bundes-Rechnungsüberschüsse der letzten Jahre in eine Solaroffensive investiert, wären heute Zehntausende von neuen Solaranlagen auf den Dächern installiert. Würden wir die Hälfte der Strassengelder in die Verkehrswende statt in Asphalt investieren, gäbe es heute mehr ÖV und Velowege statt Stau und Luftverschmutzung.

Klimapolitik ist machbar. Wenn die Politik endlich beschleunigt statt abbremst. Dafür sind wir GRÜNE auch die nächsten sieben Wochen Tag und Nacht unterwegs. Wir wollen, dass nicht das Klima kippt, sondern die Mehrheiten im Parlament.

Liebe GRÜNE

Der Countdown läuft. Und es liegt Veränderung in der Luft. Viele Menschen wagen wieder in Alternativen zu denken. Die Klimajugendlichen haben zusammen mit der neuen Frauenbewegung in wenigen Monaten die politischen Achsen in diesem Land verschoben. Ihre Botschaft ist laut und klar: Es geht um ihre Zukunft und es geht um ihre Freiheit. Die Jungen von heute wollen selber entscheiden, wie sie in zehn oder zwanzig Jahren leben. Sie haben null Bock, sich dann nur noch um die giftigen Erbschaften ihrer Eltern und Grosseltern zu kümmern.

Der Dringlichkeit ihres Anliegens kann sich – fast – niemand entziehen. Spätestens nach der Wahl des grünen Solaringenieurs Martin Neukom in den Zürcher Regierungsrat hat selbst die FDP die tektonische Kraft dieser Bewegung erkannt – und beginnt umzuschwenken. Ich will, dass sie dran bleiben. Ich will, dass sie es ernst meinen.

Denn die Lage ist ernst. Und weil das so ist, genügen die alten Rezepte nicht mehr. Wir müssen weg vom Öl. Wir müssen Wohlstand von Naturzerstörung entkoppeln. Und das auf demokratischem Weg, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und mit progressiven Unternehmen. So wie es die GRÜNEN in den Kantonen und Gemeinden tun. Wir versprechen nicht, wir handeln.

Wir GRÜNE sind in dieser Zeit des Umbruchs die Partei der Stunde. Wir sind die Partei der Umwelt. Das ist klar. Wir sind aber auch die Partei der neuen Lösungen. Und wir sind der Zeit oft ein paar Schritte voraus.

Nehmen wir unsere Volksinitiative für eine grüne Wirtschaft: Was wäre, wenn wir morgen Sonntag darüber abstimmen würden? Ich bin sicher, diesmal wäre nicht nur der Kanton Genf auf unserer Seite. Sondern man würde in der ganzen Schweiz ernsthaft über Fussabdruck 1 bis 2050 diskutieren. Und über die Chancen, die sich daraus ergeben.

Oder nehmen wir unsere Fair-Food-Initiative. Stellt euch vor, wir stimmen morgen darüber ab. Jetzt, wo der Amazonas brennt. Jetzt wo alle sehen, dass der globale Hunger nach billigem Fleisch und billigem Kraftfutter für die Massentierhaltung die grüne Lunge unserer Erde zerstört. Jetzt wo alle sehen, dass die Agrarkonzerne den Ton angeben und die Kleinbäuerinnen und -bauern versklaven und vertreiben. Ich bin sicher: Diesmal wären nicht nur die Kantone in der Romandie auf unserer Seite. «Fair Food» war ein innovativer, pragmatischer Weg, um unser Agrarhandelssystem nachhaltiger zu machen. Wäre die Initiative durchgekommen, müssten wir im nächsten Jahr keine Unterschriften gegen das Mercosur-Abkommen sammeln. Zum Glück konnten wir mit dem Bauernverband zusammen den nachhaltigen Handel in die Verfassung schreiben. Es ist Zeit, dass das auch der Bundesrat merkt.

Liebe GRÜNE

Die Wahlen in sieben Wochen sind eine Klimawahl. Im Manifest, das wir heute beraten, zeigen wir auf, mit welchen Schritten und nach welchen Grundsätzen wir die Klimapolitik vorwärts bringen wollen.

  1. Punkt eins: Wir packen das Ziel «klimaneutral bis 2030» nach den Wahlen an und wollen dafür ohne Scheuklappen und Denkverbote mit den anderen Parteien zusammenarbeiten. Offen. Als treibende Kraft. Wir legen konkrete Vorschläge auf den Tisch. Und anerkennen gleichzeitig, dass verschiedene Wege zum Ziel führen können. Dabei geben wir aber unseren Kompass nicht aus der Hand: Unsere Leitsätze sind die Wirksamkeit. Die soziale Gerechtigkeit. Und die gesellschaftliche Akzeptanz.
  2. Punkt zwei: Die soziale Verantwortung gehört für uns zum Klimaschutz. Klimaneutralität ist für die Menschen und die Wirtschaft eine Chance – wenn man es richtig macht. Wir wollen deshalb noch viel stärker als bisher aufzeigen, dass unsere Lösungen fair und tragbar sind, und zwar auch für Menschen mit kleinem Portemonnaie. Wir wollen zeigen, dass man mit effizienteren Autos Geld sparen kann. Dass Lenkungsabgaben als Ökobonus zurückbezahlt werden. Dass Haushalte in ländliche Regionen höhere Rückerstattungen bekommen sollen – weil nicht alle fünf Minuten ein Tram vor ihrer Nase hält. Wir müssen Haussanierungen mit öffentlichen Geldern fördern, den Mieterschutz stärken. Kurz: Wir verheiraten Umwelt- und Sozialpolitik. GRÜN geht nur sozial.
  3. Punkt drei: Wir wollen auch am grossen Rad drehen und uns nicht im Gestrüpp der Einzelmassnahmen verlieren. Um die Klimakrise zu überwinden, ist eine ernsthafte Diskussion über die Ökonomie des guten Lebens und eine Wirtschaft jenseits der Wachstumszwänge nötig. Die Menschen erwarten von uns GRÜNEN, dass wir hier Haltung zeigen. Wir sind bereit.

Liebe GRÜNE

Wir waren in den letzten Jahren erfolgreich unterwegs. Wir haben Hunderte neue Mitglieder gewonnen. Wir haben bei den kantonalen Wahlen von allen Parteien am meisten zugelegt. Wir sind stolz auf unsere vielen jungen Talente, die energisch nach vorne drängen. Wir haben das Netzwerk Grüne Frauen* und das Netzwerk Green LGBTIQ* gegründet. Wir stellen von allen Parteien am meisten Frauen für den Ständerat. Und auch bei den Nationalratskandidaturen verzeichnen wir den höchsten Frauenanteil.

Wir werden als Partei anerkannt, die sich für Klima- und Umweltschutz, für Zukunftstechnologien und ein freies Internet einsetzt, für Datenschutz und digitale Bürgerrechte, für globale Steuergerechtigkeit und Konzernverantwortung, für Friedenspolitik und Grundrechte, für Gleichstellung und die Gleichheit aller Lebensformen. Wenn man das Umweltrating oder das Konsument*innenrating liest – oder auch die Statistik über die Frauenvertretung auf unseren Listen –, dann sieht man: Wir legen uns mächtig ins Zeug. Dafür danke ich euch herzlich.

Last but not least sind natürlich auch Umfragen gut – doch Umfragen sind noch keine Wahlen. Bis zum 20. Oktober müssen wir rund um die Uhr dranbleiben und aufzeigen:

Jede Stimme für die GRÜNEN ist eine Stimme für das Klima, eine Stimme für die Gleichberechtigung, eine Stimme für eine Gesellschaft, die Haltung zeigt und nicht vor den Rechtspopulisten kuscht. Liebe GRÜNE: Geben wir alles!

Präsidialrede (PDF)