Das Ziel für die zweite Halbzeit: Bei den Wahlen 2019 vorwärts machen!

Herzlich willkommen in Bern, der grünsten Stadt aller Städte in der Schweiz(*).

Fast ein Viertel der Bevölkerung hat hier bei den letzten Wahlen grün gewählt. Doch selbst hier gibt es noch Luft nach oben. In der solothurnischen Landgemeinde Rüttenen zum Beispiel konnten die Grünen im Frühling einen sagenhaften Wähleranteil von 27 Prozent erreichen. Sie haben sich diese Akzeptanz mit leidenschaftlicher Politik, klaren Überzeugungen und viel Bodenhaftung verdient.

Mit dem gleichen Pioniergeist haben die Grünen auch die Schweiz geprägt und voran gebracht. Wenn heute in Bern tausende von Menschen an der „Pride Ouest 17“ für die Gleichstellung von Regenbogenfamilien auf die Strasse gehen, dann setzen sie sich für ein urgrünes Anliegen ein.

Vor 20 Jahren schon hat unsere damalige Präsidentin Ruth Genner im Parlament die Ehe für alle gefordert. Damals biss sie auf Granit. Heute reihen sich auch CVP- und BDP- und FDP-Politiker in die Liste der Pride-Redner ein. Die „Ehe für alle“ ist Mainstream geworden. Selbst Angela Merkel musste das zur Kenntnis nehmen und hat sie in letzter Sekunde höchstpersönlich in das Wahlprogramm der Konservativen hineingeschmuggelt – ohne allerdings selber zuzustimmen. Manche handeln aus Überzeugung, andere sind flexibel. Ich meine: Hauptsache, das Resultat stimmt!

Auch in anderen Themen waren wir Grünen der Zeit voraus, une longueur d’avance, wie unsere Romands zu sagen pflegen. Wir setzen uns auch dann für gesellschaftliche Verbesserungen ein, wenn die anderen Parteien noch die Hände verwerfen – und freuen uns, wenn sie mit der Zeit dann trotzdem mehrheitsfähig werden. Wir waren und bleiben die Avantgarde in der Gleichstellungspolitik (WOZ), die pazifistische Stimme in der Sicherheitspolitik, die Pionierinnen der grünen Landwirtschaft und die Trendsetter eines urbanen, nachbarschaftlichen Lebensstils.

Nach vielen Anläufen ist es uns auch gelungen, mit der Energiestrategie 2050 den Richtungswechsel zu erneuerbaren Quellen durchzusetzen. Am Schluss konnten wir das Paket allerdings nur dank dem Druck unserer Atomausstiegsinitiative vor dem Absturz in den Rechtsrutsch retten. Das Ja zur Energiestrategie am 21. Mai ist deshalb einer der wichtigsten Erfolge in dieser Legislatur. Ein grosser Tag für die Grünen und ein grosser Schritt für die Schweiz!

Und nun kommt wieder die Knochenarbeit. Und da ist schon heute klar: Ohne den vollen Einsatz der Grünen werden wir die Energiestrategie und den Klimavertrag von Paris nicht in die Praxis umsetzen können. Viel Zeit bleibt uns nicht. Nach den dramatischen Bergstürzen im Berner Oberland und im Graubünden sollten endlich auch ultralibertäre Marktideologen begriffen haben. Der Klimawandel ist kein laues Lüftchen, das uns lauschige Cüpli-Nächte beschert. Nein, die Klimaerhitzung bedroht die heutigen und die künftigen Lebensräume. Nicht mehr schleichend und diffus wie in den letzten Jahren. Sondern immer mehr mit der sichtbaren Gewalt von Bergstürzen, von Überschwemmungen, von Orkanen, von Dürren. Wer in dieser Situation immer noch den Kopf in den Sand stecken will, ist schlicht und ergreifend kriminell.

Nun gibt es Schönwetterparteien, die uns Angstmacherei vorwerfen, wenn wir in Sachen Klimawandel Klartext reden. Offenbar lesen sie die Studien der Wissenschaftler nicht. Dort finden sich Fakten, die so eindeutig sind wie ein Kinnhaken. Die Erde ist der einzig bekannte Planet, auf dem Leben existiert. Und das nur dank einer Schutzhülle, unserer Atmosphäre, die Tag für Tag mehr durchlöchert wird. Ist das die Welt, die wir unseren Kindern weitergeben wollen? Schutthalden statt Berge, Pfützen statt Gletscher, Altlasten statt Lebenschancen? Nein. Wir können es besser. Wir Grünen werden heute über eine Resolution beschliessen, die auch vor der heiligen Kuh Verkehr nicht zurückschreckt. Vielleicht sind einige Vorschläge ihrer Zeit noch etwas voraus – und longueur d‘avance. Vielleicht schmecken einige Vorschläge gar nach Regulierung. Wir stehen dazu. Regulierung ist kein Zwang. Regulierung heisst letztlich nichts anderes, als dass sich Menschen auf demokratischem Weg in aller Freiheit gemeinsame Spielregeln geben. Die Spielregel zum Beispiel, dass man in Zukunft nicht mehr mit spritfressenden Geländewagen durch Wohnquartiere fahren soll. Es gibt bessere und billigere Alternativen. Genau dafür werden wir hartnäckig kämpfen, liebe Grüne, denn das ist wirklich progressive Politik und nicht nur Wischiwaschi.

Neben der Schutzhülle der Atmosphäre wollen wir Grünen auch die Schutzhülle der Menschenrechte stärken. Wir sind die Partei des Respekts, der Vielfalt und der Freiheit. Ja. Die Partei der Freiheit. Freiheit heisst für uns, alles zu tun, was den anderen nicht schadet. Also nicht die Freiheit des Fuchses im Hühnerstall. Das ist die, die vorab die FDP und andere sogenannte „Liberale“ verteidigen und der man auch Uberkapitalismus sagen kann. Eine Wirtschaftsform, die immer auf Kosten der Schwächeren geht.

Um unsere langfristigen Ziele zu erreichen, dürfen wir nicht bei der Schadensbegrenzung stehen bleiben. Wir müssen uns auch um die Mechanismen kümmern, die hinter der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen stehen. Um die Interessen, die hinter den täglichen Angriffen auf die Menschenwürde stehen. Gewalt, Rassismus, Hunger, Flucht – all das muss nicht sein. Es ist kein Naturgesetz, dass sich Schiiten und Sunniten im Nahen Osten aufs Blut bekämpfen. Protestanten und Katholiken tun es hier auch nicht mehr. Krieg, Umweltzerstörung und die zunehmende Ungleichheit sind keine Gewitterstürme, sondern uralte Geschäftsmodelle, bei denen kurzfristiger Profit und kurzsichtige Macht im Zentrum stehen. Hier müssen wir ansetzen.

Wir Grünen wollen eine Wirtschaft, die den Menschen und nicht den Konzernen dient. Gemeinschaftlich, fair, nachhaltig, sozial und offen: Das sind unsere Werte. Sie stehen auch bei der #GrüneDebatte17 im Zentrum. Am ersten Debattentag im Juni haben sich bereits einige Schwerpunkte für die Weiterentwicklung des grünen Programmes herausgeschält. Eine Neuauflage der Grünen Wirtschaft zum Beispiel, die eng mit sozialen und demokratischen Grundrechten gekoppelt ist. Oder ein neues Modell des garantierten Grundeinkommens als Antwort auf den digitalen Wandel. Daran werden wir weiterarbeiten. An der Delegiertenversammlung vom Januar 2018 gibt es eine erste Bilanz.

Doch bevor wir neue Pionier-Projekte starten, steht eine herausfordernde zweite Halbzeit bevor. Je näher die Wahlen 2019 rücken, desto härter werden die Auseinandersetzungen. Die erstaunlichste Performance auf diesem Parkett bietet derzeit die FDP, die mit Peinlichkeiten und „Theatertrickli“ die Rentenreform 2020 bekämpft. Auf verwerfliche Art und Weise spielt sie die Jungen gegen die Älteren aus. Zum Glück haben die Jungen Grünen den Ball aufgenommen und eine Kampagne für die Generationensolidarität gestartet. Ich bitte euch, sie auf den sozialen Medien aktiv zu unterstützen. Die Ausgangslage ist so knapp, dass es jede Stimme braucht. Christine Häsler wird nachher zeigen, wo die Kampagne heute steht.

Ein neues Kampffeld öffnet sich auch in der Medienpolitik. Mit der Übernahme von 25 Gratiszeitungen will das Blocher-Imperium die Lufthoheit über den Stammtisch sichern. Man braucht wenig Phantasie um sich vorzustellen, was mit den Gratisblättern vor den Wahlen 2019 in die Briefkästen der Agglomerationen flattern wird: Rechtspopulistische Parolen zu den SVP-Kernthemen Europa und Asyl. Umso wichtiger ist es, dass die Grünen mit einer neuen Medienpolitik den Erhalt der Vielfalt und der demokratischen Öffentlichkeit sicherstellen. An der Delegiertenversammlung vom Oktober werden wir unsere Vorschläge diskutieren.

Die letzten zwei Jahre waren von so vielen Highlights geprägt, dass wir heute als Partei mit Bundesratschancen gehandelt werden. Doch für mich ist klar: Wir wollen nicht als grünes Feigenblatt im Wind flattern, sondern die reale Politik verändern. Dazu müssen wir noch stärker werden und bei den Wahlen 2019 vorwärts machen. Die Voraussetzungen sind gut: Mit der #GrüneDebatte17, mit einer hochkompetenten jungen Generation und mit unserem bewegten Einsatz für Bürgerrechte, sozialen Ausgleich und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen können wir auch in der zweiten Halbzeit punkten. Im nächsten Jahr stehen bereits die Wahlen in den Kantonen Bern, Nidwalden, Glarus, Graubünden, Zug und Genf vor der Tür, und natürlich auch in der Stadt Zürich. Ich bin sicher: Die Wahlkampagnenteams werden nun alle nach Rüttenen reisen und fragen: Wie schafft man 27 Prozent? #YesWeCan!


(*) Die drei grünen Sektionen GB, GFL und GPB haben einen gemeinsamen Wähleranteil von über 22 Prozent. Dazu kommt die Junge Alternative JA! mit 3 Prozent Wähleranteil. In der Stadtregierung besetzen die Grünen zwei von fünf Sitzen inkl. dem Stadtpräsidium.

Präsidialrede (PDF)