Stärkung von sozialem Ausgleich und Grundrechten als Antwort auf den Rechtspopulismus

In La Chaux-de-Fonds kostet eine Dreizimmerwohnung halb so viel wie in der Stadt Zürich. Gut möglich also, dass ein paar Grüne heute Abend gleich hier bleiben. Denn La Chaux-de-Fonds bietet nicht nur die günstigste Wohnlage aller grossen Städte in der Schweiz, sondern moderne Urbanität, feinsten Jugendstil, einzigartige Retrocafes und eine aufmüpfige, weitsichtige Bevölkerung. 60,3 Prozent der Stimmberechtigten haben hier Ja gestimmt zum raschen Ausstieg aus der Atomenergie. Und 51,4 Prozent Ja zur Initiative für eine grüne Wirtschaft.

La Chaux-de-Fonds ist auch eine der wenigen Städte in der Schweiz, die sich nicht akut vor dem Klimawandel fürchten müssen. Gemäss Wikipedia gibt es hier statistisch gesehen nur alle drei Jahre einen Hitzetag. Dafür im Mittel 151 Frosttage und jede Menge Schnee. An weniger progressiven Orten wären das ideale Bedingungen, um die neusten Trend-Sportarten der Politik zu trainieren: Slalomfahren, Pirouetten drehen und waghalsige Spitzkehren.

Das sind Techniken, die populistische Parteien rund um die Welt perfekt beherrschen. Italiens Politakrobat Beppe Grillo zum Beispiel, der im Europaparlament kürzlich von der «Freiheitsfraktion» des Brexit-Gewinners Nigel Farage zur EU-Turbofraktion der Liberalen wechseln wollte. Dieses Wendemanöver wurde von der liberalen Basis in letzter Sekunde gestoppt. Immerhin. Nicht mehr zu stoppen ist die Machtübernahme von Donald Trump. Jeden Tag wird auf Twitter rapportiert, wo und wie er gerade wieder mal ein Wahlversprechen gebrochen haben soll. Das ist nicht zwingend eine schlechte Nachricht, denn 99 Prozent der Wahlversprechen von Trump sind das Gegenteil von grüner Politik. Nur bei der Kritik am Freihandel gibt es Überschneidungen. Doch unsere Antworten könnten verschiedener nicht sein. Soziale und ökologische Standards statt Mauern und Zölle – das ist grüne Politik.

Die Angst vor sozialem Abstieg, Arbeitsplatzverlust, Armut und Fremdbestimmung ist eine der Triebfedern der aktuellen rechten Revolution. Und es ist eine bittere, ja zynische Wahrheit, dass die rechten Parteien auch von den Verlierern ihrer eigenen Politik gewählt werden. Sie erzeugen gezielt und unverfroren die Unsicherheiten, die sozioökonomischen Verschiebungen, die sie an die Macht spülen. Und Macht, Macht ist das einzige Ziel der rechten, populistischen, autoritären Politik. Die Macht elitärer Clans und immer mehr auch die Macht einzelner grössenwahnsinniger Narzissten. Wir Grüne werden uns in den nächsten Jahren deshalb nicht nur auf unsere politischen Inhalte konzentrieren können. Nein, wir müssen immer auch die Widersprüche, Slalomfahrten, Pirouetten und waghalsigen Spitzkehren der Rechtspopulisten demontieren und sie mit Leidenschaft und harten Fakten schlagen. Das ist doppelte Arbeit, aber darum kommen wir nicht herum.

Der rechtsnationale Epochenbruch ist auch in der Schweiz in vollem Gang. Heute führt auch die SVP ihre Delegiertenversammlung durch, bei ihrem Rechtsaussenposten Freysinger im Wallis. Das Thema ist – wer hätte es erraten – die Umsetzung der Zuwanderungsinitiative. Es ist ein Lehrstück für rechtspopulistische Slalomfahrten. Die Annahme der Initiative war ja für die SVP-Spitze ein Betriebsunfall, der sie nun zu den waghalsigsten Pirouetten zwingt. Anstatt Probleme zu bewirtschaften, müssten sie nun Lösungen bringen. Und dabei drehen und drehen sie wie Derwische oder die tanzenden Heuhaufen bei der Gotthardbasistunneleröffnung.

Mal wollen sie die Bilateralen Verträge erhalten, dann wieder nicht. Mal ist Blocher zu Kompromissen bei der Umsetzung bereit, dann wieder nicht. Mal ziehen sie ein Referendum in Erwägung, dann wieder nicht. Wir Grünen dagegen sind eine verlässliche Partei und machen keine Treibsandpolitik. Wir sagen, was wir wollen, und wir tun, was wir sagen: Wir haben uns im Parlament für eine arbeitsmarktliche Umsetzung der Zuwanderungsinitiative eingesetzt und bleiben dabei. Wir werden uns für einen Gegenvorschlag zur RASA-Initiative stark machen und bleiben dabei. Wir wollen nicht nur die Bilateralen Verträge in der Verfassung verankern, sondern auch das Prinzip der flankierenden Massnahmen, und wir bleiben dabei. Denn die Unterstützung der Personenfreizügigkeit war immer mit dem Versprechen verbunden, Lohndumping, Schwarzarbeit und andere negative Auswirkungen von unbegrenzten Arbeitsmärkten mit flankierenden Massnahmen zu bekämpfen. Wir bleiben dabei. Denn nur so sichert sich die Personenfreizügigkeit die Akzeptanz der Bevölkerung.

Es ist zu hoffen, dass das auch die FDP endlich begreift. Es kann keine Öffnung geben ohne sozialen Ausgleich und faire Spielregeln. Leider stimmen die Erfahrungen vom letzten Jahr nicht sehr zuversichtlich. Die Bilanz nach einem Jahr Rechtsrutsch zeigt klar: Die bürgerlichen Parteien geben sich zwar bei der Personenfreizügigkeit und bei der liberalen Gesellschafts- und Rechtspolitik immer mal wieder lautstark auf den Kopf. Wenn es aber um Steuer- und Finanzpolitik geht, um Sozialabbau, um Stillstand beim Mietrecht oder um Rückschritt beim Umweltschutz, dann sind sie ein Herz und eine Seele und blockieren dringend benötigte Fortschritte und Chancen für die Schweiz. Das aktuellste Beispiel dafür ist die Unternehmenssteuerreform III. Sie bringt höhere Steuern für Familien, Arbeitnehmende und Rentner/innen und fördert damit die Entsolidarisierung, welche die Menschen in die Fremdenfeindlichkeit und in die Abschottungsecke drängt.

Dank zwei nationalen Abstimmungskampagnen konnten wir Grünen die politische Agenda 2016 trotz Rechtsrutsch prägen. Die rund 46 Prozent Ja-Stimmen zum geordneten Atomausstieg waren das beste Resultat aller rotgrünen Initiativen in den letzten 10 Jahren und darüber hinaus. Sie haben nicht nur der Energiestrategie 2050 den Weg geebnet. Sie sind auch ein Auftrag für uns Grüne, den Umbau der Energieversorgung rasch voranzutreiben. Ein Fall für die Grünen bleibt dabei die AKW-Sicherheit und der Schutz der Bevölkerung vor finanziellen Abenteuern à la NAGRA, Axpo oder AKW-Subventionsfreund Christoph Blocher. Notfalls werden wir per Referendum verhindern, dass die Steuerzahler/innen für die andauernde Misswirtschaft der Atomindustrie gerade stehen müssen.

Neben der politischen Ernte hat das Kampagnenjahr 2016 den Grünen mehr Mitglieder, Spenden und Wahlerfolge gebracht. Die neusten: Im Kanton Freiburg wurden die Sitzzahl im Parlament verdoppelt und Marie Garnier als Regierungsrätin bestätigt. In der Stadt Bern sind mit Franziska Teuscher und Alec von Graffenried gleich zwei von fünf Regierungssitzen durch Grüne besetzt – eventuell ist morgen Sonntag, so wie in Basel-Stadt, sogar ein Regierungspräsidium möglich. Erfolgreich waren die Grünen im Herbst auch bei kommunalen Wahlen im Wallis, Bern oder Neuenburg.

Liebe Grüne aus den Kantonen Neuchâtel, Wallis, Waadt und Solothurn: Als nächstes seid ihr dran und wir zählen auf euch. Ihr werdet unsere Erfolgsserie bei den Wahlen weiterführen. Ihr gewinnt: wenn ihr mit vollen Listen antretet, wenn ihr mit Kopf, Herz und Rückgrat unterwegs seid, wenn ihr euch gegenseitig stützt, motiviert und beflügelt, wenn ihr mit der Bevölkerung zusammen eine klare, konstruktive und verlässliche Politik entwickelt UND wenn ihr auf die Jungen setzt – sie haben in vielen Kantonen zu den grünen Wahlerfolgen beigetragen.

Weil man immer mit gutem Vorbild vorangehen muss, werde ich heute einen Teil meiner Präsidiumsrede an die junge Generation abtreten – an unseren Vizepräsidenten Luca Maggi. Bevor ich ihm Platz mache, möchte ich allen herzlich für die gute Zusammenarbeit in den letzten Jahren und für euer riesiges Engagement danken. Generationenübergreifend werden wir uns 2017 für Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Ökologie und Frieden engagieren. Selbstverständlich sind wir dabei mit globalem Horizont unterwegs. Am Nachmittag haben wir mit Mithat Sancar einen Vertreter der türkischen Opposition eingeladen, der uns aufzeigt, wohin autoritäre Politik und das Aushebeln von Demokratie und Menschenrechten führen kann. Und die Jungen Grünen werden die Initiative «Für ein Verbot von Kriegsgeschäften» vorstellen, die sie im Frühjahr zusammen mit der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee lancieren. Ich bin sicher: Auch wir Grünen machen mit. Denn ohne diese Initiative bleibt die Welt ein Pulverfass, in der das Rauchen nicht verboten ist.

Die Stärkung von sozialem Ausgleich und Grundrechten ist die grüne Antwort auf den Rechtspopulismus. Da bleiben wir dran: mit zielgerichteter, intelligenter Unverschämtheit und charmanter Penetranz – einfach unwiderstehlich! Danke!

Präsidialrede (PDF)