Liebe GRÜNE

Jetzt geht’s los! In neun Monaten wählen die Bürgerinnen und Bürger ein neues Parlament. Das ist gut so, denn die Zeit ist reif für Veränderung. Die Schweiz braucht neue Mehrheiten. Die Schweiz muss ökologischer und sozialer werden. Die Schweiz braucht Haltung, Unbestechlichkeit und Weitsicht. Also grün.

Der Rechtsrutsch 2015 hat tiefe Bremsspuren hinterlassen. In der Umweltpolitik ging es sogar rückwärts. Mit der „Lex Beznau“ zum Beispiel. Sie leitet in der Schweiz das Vampir-Zeitalter der Atomenergie ein – die Untoten stehen wieder auf. Oder in der Verkehrspolitik. Dort hat der Chef des Bundesamtes für Strassen den Autowahn der 1970er Jahre wieder zum Leben erweckt. Er albträumt von doppelstöckigen Autobahnen, von breiteren Strassen für Offroader und von sechsspurigen „Einfallsachsen“ in die Städte. Leider träumt er nicht nur, er handelt auch – und plant die grösste Strassenbauoffensive seit 40 Jahren. Anstatt Milliarden von Franken in den Klimaschutz zu investieren, werden Milliarden in die Klimazerstörung investiert. Aber nicht mit uns!

Wir machen nicht mit bei dieser Zukunftsverweigerung. Im Eidgenössischen Parlament, in Biel, in Luzern, in Lausanne: Überall leisten die GRÜNEN Widerstand. Wir gehen für umweltfreundliche Mobilität und lebenswerte Quartiere wieder auf die Strasse. So wie in unseren Anfängen, vor 36 Jahren. Im Gegensatz zur sitzenden Autolobby bleiben wir ziemlich fit dabei!

Auch die Klimapolitik steckt im Mief der fossilen Vergangenheit fest. „Die Kinder sollen zahlen“, heisst die Devise der bürgerlichen Parteien beim CO2-Gesetz. Der Klimaschutz soll deshalb mittels Zertifikate-Ablasshandel ins Ausland verschoben werden. Flugticket-abgabe? Lenkungsabgaben für Treibstoffe? Ersatz von Ölheizungen? Von all dem will der Nationalrat nichts wissen. Doch viele Abstimmungen fielen knapp aus. Mit vier bis fünf zusätzlichen grünen Sitzen hätten wir entscheidende Verbesserungen durchsetzen können. Wir GRÜNE müssen deshalb die Wahlen 2019 gewinnen. Nur so bringen wir die Schweiz auf Klimakurs.

Ein Jahr vor den nationalen Wahlen zeigt sich, für was die Parteien stehen und für wen die Parteien einstehen. Wir GRÜNE stehen für eine moderne, ökologische, demokratische, freiheitliche, soziale und weltoffene Schweiz. Für eine Schweiz mit Pioniergeist und für eine Schweiz, die Haltung zeigt. Uns wählt man nicht, um etwas abzuwehren. Uns wählt man, um die Schweiz voranzubringen – als Teil einer vernetzten, solidarischen Welt.

Es geht um viel in den nächsten Jahren. Es geht um alles. Wir stehen vor einer tiefgreifenden Transformation der Gesellschaft und der Wirtschaft. Wir haben noch 10 bis 15 Jahre Zeit, um uns aus der Abhängigkeit von fossilen Energien zu befreien. Das ist eine Herkulesaufgabe, die mit Abwarten und Teetrinken nicht einfacher wird. Nichtstun kostet sehr viel mehr als die Zukunft anpacken. Es gibt deshalb nur einen Weg: nach vorne. Denn «wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt.» (Erich Fried)

Wir GRÜNE wollen, dass sie bleibt – und wir bringen die Lösungen dazu. Von Beginn an werden wir das nationale Wahljahr prägen. Bereits im Februar kommt die Zersiedelungsinitiative der Jungen Grünen an die Urne. Es ist eine Initiative, bei der es auf den ersten Blick um Raumplanung geht, um kurze Wege, nachbarschaftliches Wohnen und die Siedlungsentwicklung nach innen. Alles klassische grüne Themen, die zu mehr Lebensqualität führen. Aber es geht um viel mehr. Es geht um den Raum, der in der Schweiz überhaupt noch zur Verfügung steht für die Natur, für eine ökologische Landwirtschaft, für die Biodiversität. Die Schweiz war das erste Land der Welt, das den Wald als lebensnotwendige Naturressource schützte. Höchste Zeit, nun auch den Boden zu schützen.

Im Mai dann geht es um das soziale Klima in diesem Land. Wir GRÜNE und Junge Grüne haben es geschafft, mit einzelnen Gewerkschaften, der Alternativen Liste und linken Parteien aus der Westschweiz zusammen über 60‘000 Unterschriften für das Referendum gegen die Steuervorlage 17 (STAF) zu sammeln. Über 22‘000 Unterschriften kommen aus der grünen Küche – das ist eine grossartige Leistung bei eisigem Gegenwind!

Ich rede ganz bewusst vom Referendum gegen die Steuervorlage 17. Denn wir GRÜNE stellen die Finanzspritze für die AHV nicht in Frage. Im Gegenteil: Es ist dringend, die AHV-Finanzen zu stabilisieren und ihr eine finanzielle Verschnaufpause zu geben. Die AHV ist das wichtigste Sozialwerk in diesem Land und sollte gemäss Verfassung existenzsichernd sein. Das ist sie heute nicht – viele ältere Menschen in der Schweiz kommen nur mit Ergänzungsleistungen, Prämienverbilligungen und dank subventionierter Hilfe durch Spitex
oder im Pflegeheim über die Runden. Genau für diese Leistungen fehlt aber in Zukunft das Geld. Denn die Steuervorlage 17 wird wie schon ihre Vorgängerin, die Unternehmenssteuerreform III, zu nichtfinanzierten Steuerausfällen in Kantonen und Gemeinden führen. Der Abbau beim Service Public ist vorprogrammiert.

Uns geht es in dieser Abstimmung aber auch um die Frage der Steuergerechtigkeit. Und zwar global und lokal. Wie wichtig der soziale Ausgleich ist, zeigt das Beispiel Frankreich: Dort haben in den letzten Wochen Hunderttausende von Menschen gegen eine Klimasteuer auf Benzin und Diesel protestiert. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Heute wissen wir: Die „gilets jaunes“ haben kein Problem mit dem Klimaschutz. Sie haben ein Problem mit einer Regierung ohne Kompass. Eine Regierung, welche die Vermögenssteuern für Reiche abschafft, die Wohnhilfe für Arme kürzt und gleichzeitig die Konsumabgaben erhöht. Mehr Kuchen, weniger Brot – das ist eine explosive Mischung. Viele Menschen in der Schweiz und in Europa haben heute begründete Angst vor dem sozialen Abstieg und vor digitalen und globalen Veränderungen in der Arbeitswelt. Grüne Politik muss deshalb immer soziale Politik sein und nachhaltige, faire Wirtschaftspolitik ohne Wachstumszwang.

Wir GRÜNE sind heute die einzige Partei in der Schweiz, die Umweltfragen konsequent mit sozialen Fragen und den liberalen Grundrechten verbindet. Und wir sind die einzige Partei, die Vollmitglied in einer europäischen und globalen Dachorganisation ist. Nächste Woche fahre ich nach Strassburg und treffe dort die Steuer- und Agrarfachleute der europäischen Grünen. Und ich werde mit dem Präsidenten, Reinhard Bütikofer, natürlich auch über das Rahmenabkommen reden.

Liebe GRÜNE: Wir brauchen, wir wollen dieses Rahmenabkommen – aber eines, das auf beiden Seiten der Grenze zu einem sozialen, ökologischen und demokratischen Europa führt. Wir GRÜNE haben einen Vorschlag dazu in die Diskussion gebracht. Unsere Antwort auf die Blockadepolitik von Ignazio Cassis heisst: mehr Steuerharmonisierung statt weniger Lohnschutz. Wenn Bundespräsident Ueli Maurer das Abkommen nachverhandeln will, dann braucht er einen wirklichen Befreiungsschlag. Und der kann nur heissen: Die Schweiz verzichtet darauf, mit Steuerdumping Unternehmenssitze aus den Nachbarländern anzulocken. Im Gegenzug verzichtet die EU auf eine Schwächung des Lohnschutzes. Und alle sind zufrieden.

Leider wird die Europa-Diskussion in der Schweiz heute nur aus der Perspektive der nationalen Interessen, also des Bauchnabels geführt. Doch es geht längst um mehr. Die Europa-Wahlen im Mai 2019 werden zu einer historischen Weichenstellung. Die traditionellen Volksparteien sind in allen europäischen Ländern in der Krise und werden von populistischen Bewegungen überrollt. Diese stellen zunehmend die historisch hart erkämpften Spielregeln der modernen, freiheitlichen Demokratie in Frage. Die unveräusserlichen und universellen Grund- und Menschenrechte genauso wie das ökologische und soziale Fundament einer nachhaltigen Wirtschaft.

In Ländern mit starken GRÜNEN konnte der Abstieg der Volksparteien teilweise aufgefangen werden. Die GRÜNEN sind heute für Menschen in ganz Europa die Hoffnungsträgerin für eine lebenswerte Zukunft. Diese Kraft gilt es auch in den Europa-Wahlen vom Mai 2019 zu stärken, als Bollwerk gegen den Rechtspopulismus und die Durchsetzung des Rechts der Starken und der Skrupellosen weltweit. Auch wir Schweizer GRÜNE wollen dazu einen Beitrag leisten. Wir lancieren einen grünen Wahlaufruf an alle Menschen mit europäischem Pass in der Schweiz. Und wir diskutieren am 28. Februar an einer Europa-Tagung darüber, was Europa spaltet und was es zusammenhält.

Am 14. Juni dann streiken Frauen und Männer für gleiche Löhne, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und für eine faire Vertretung der Frauen in den Entscheidungsgremien von Wirtschaft und Politik. Wir GRÜNE stecken schon von voll in den Vorbereitungen drin. Bei uns selber gibt es allerdings relativ wenig zu tun. Die GRÜNEN sind die Avantgarde der Gleichstellungspolitik. Wir waren die erste nationale Partei in der Schweiz, die eine Frau an die Spitze wählte. Nicht nur einmal – sondern immer wieder. Die Hälfte aller grünen Präsidien in 36 Jahren waren Frauen. So wie auch die Hälfte aller Parlaments- und Exekutivmandate in Kantonen und Gemeinden. Wir reden nicht von Gleichstellung – wir leben sie. Auch dort, wo es um Macht und Einfluss geht. Bei allen anderen Parteien hört es an dieser Stelle spätestens auf. Doch auch wir können noch besser werden. Wir wollen im Frauenwahljahr 2019 mehr Frauen und mehr Junge ins Parlament bringen. Und wir wollen mit mindestens sieben starken Frauenkandidaturen das „Stöckli“ erobern. Wir wissen, was wir wollen – und nun geht es an die Arbeit!

Liebe GRÜNE. Wir gehen gut vorbereitet in diese Entscheidungswahl. Unser Ziel ist es, mindestens vier Sitze im Nationalrat vorwärts zu machen und im Ständerat besser vertreten zu sein. Unsere Karten sind gut. Würde morgen in der Schweiz gewählt, dann könnten die GRÜNEN von allen Parteien am stärksten zulegen. Doch uns wird nichts geschenkt. Jede Minute Engagement, jeder Spenden-Franken, jedes Neumitglied entscheidet darüber, ob wir unsere Ziele erreichen. Umweltschutz, Grundrechte, Gleichstellung, eine gerechte und nachhaltige Wirtschaft und eine Demokratie der Vielfalt: Der Aufbruch ist grün – hier und global!

Präsidialrede (PDF)