Liebe GRÜNE 

Cher Vertes, Cher Verts 

Cari Verdi 

Wir treffen uns heute zum ersten Mal an einer DV nach dem erfreulichen Abstimmungswochenende vom 27. September 2020 – vier von fünf Abstimmungen sind im Sinne der GRÜNEN ausgegangen.

Die vier gewonnenen Abstimmungen zeigen: Soziale und ökologische Anliegen finden heute Mehrheiten bei der Bevölkerung.
Der SVP ist der Schnauf ausgegangen bei der x-ten Aufführung ihres Klassikers «Schuld sind immer die Ausländer*innen».
Das Abschussgesetz konnten wir verhindern und so den Weg freimachen für einen besseren Schutz bedrohter Tierarten.
Der Kinderabzugsbschiss wurde ganz deutlich abgelehnt – die Stimmberechtigten konnten unterscheiden zwischen täuschend gutem Titel und dem ganz anderen Inhalt.
Und das Vaterschaftsurläubchen ist nun unter Dach und Fach. Und wird ab Anfang Januar umgesetzt. Das klare Ja hilft hoffentlich mit, die Türe zu einer echten Elternzeit aufzustossen.

Dass wir die Abstimmung über Luxuskampfjets so knapp verloren haben, war natürlich bitter. Wenn man so viel besser abschneidet, als alle Umfragen prognostiziert haben… da würde man die paar tausend Stimmen, die den Unterschied zwischen Achtungs- und Überraschungserfolg ausgemacht hätten, auch noch nehmen. Auf jeden Fall ist das eine Botschaft für die Abstimmungen vom 29. November: Jede Stimme zählt. Wir wissen, bei der Konzernverantwortungsinitiative kann es ebenso knapp werden wie bei der Initiative zum Stopp von Kriegsgeschäften.

Die Luxuskampfjets haben zumindest etwas Gutes: Sie helfen uns in den nächsten Jahren, wenn wir an einem Stand auf der Strasse oder im Bekanntenkreis wieder mal gefragt werden, was denn der Unterschied sei zwischen den GRÜNEN und der glp. Die Antwort, die alle verstehen: Wir GRÜNE, wir sind die Partei, welche 24 Milliarden Franken lieber in Solardächer investiert als in Luxus-Kampfjets.

Wir schauen aber heute nicht nur auf ein erfreuliches Abstimmungswochenende zurück. Nein: Es ist ein Jahr her seit dem historischen Wahlerfolg der GRÜNEN. Viele Journalist*innen, politische Konkurrent*innen, zum Teil auch Politolog*innen haben uns gesagt:
Das ist ein Zufall, ein Glück – und alles wird wieder «normal» werden.

Wir wussten immer schon, dass das nicht stimmt. Denn der Erfolg der GRÜNEN vor einem Jahr kam nicht aus heiterem Himmel. Er hatte schon in den Jahren zuvor begonnen. Mit Wahlerfolgen in den Kantonen. Lange vor Greta. Lange vor dem Dürresommer 2018.

Der Erfolg ist eine Treppe, er ist keine Tür, durch die man tritt und dann einfach drin bleibt. Man kann sich auf dem Erfolg von gestern nicht ausruhen. Sondern muss weiter dranbleiben!

Darum freut es mich auch besonders, dass alle kantonalen Wahlen seit dem 20. Oktober 2019 eines gezeigt haben: Die GRÜNEN sind weiterhin auf Erfolgskurs. Verglichen mit allen Parteien haben wir die meisten Sitze in Kantonalparlamenten zugelegt, das hat sich auch am vergangenen Sonntag erneut bestätigt. Herzliche Gratulation an die GRÜNEN im Aargau, herzliche Gratulation an die GRÜNEN im Jura zu ihren Wahlerfolgen in den Parlamentswahlen – und ein «weiter so!» an die GRÜNEN Wallis, denen der Sprung von einem auf gleich zwölf Sitze in den verschiedenen Gemeindeexekutiven gelungen ist, Chapeau! Die GRÜNEN Wallis hatten offenbar auch auf lokaler Ebene einen Bärenhunger – ach, was sage ich: einen Wolfshunger – die politische Zukunft mitzugestalten.

Ich gratuliere euch – und wünsche den nächsten im Reigen, den GRÜNEN Basel-Stadt und BastA!,dem Grünen Bündnis Basel-Stadt, einen erfolgreichen Wahlsonntag!

Wir müssen uns den Erfolg immer aufs Neue erarbeiten. Und mit jedem Erfolg steigen auch die Erwartungen – und sie sind, angesichts der meist weiterhin starken rechtsbürgerlichen Mehrheiten, nicht einfach zu erfüllen. Die konservativen Mehrheiten blockieren zum Teil Entwicklungen, die längst überfällig sind. Das spüren auch unsere 35 National- und Ständerätinnen, von denen viele eigentlich noch gar nie eine «normale» Zeit im Parlament erlebt haben. Denn seit dem Frühjahr hat Covid-19 die Schweiz und auch die Schweizer Politik fest im Griff.

Wir GRÜNEN haben uns seit Anfang der Covid-19-Pandemie dafür eingesetzt, die gesellschaftliche Solidarität zu stärken. Wir sind in der Politik gefordert, um die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, welche die Covid-19-Krise auf die Menschen hat, abzumildern.

Viele der seit dem Frühling eingesetzten Instrumente – Kurzarbeit, Covid-19-Kredite, Erwerbsausfallentschädigungen – haben sich als effektive und rasch wirksame Notmassnahmen bewährt.

Allerdings gibt es auch Bereiche, da haben wir keine Lösung und es droht so zu bleiben. Beispiel Geschäftsmieten.

Ihr erinnert euch: Schon in der ausserordentlichen Session Anfang Mai war es die CVP, welche eine rasche Lösung versiebt hat. Sowohl im National- als auch im Ständerat gab es je eine Kommissionsmotion. Aber bei der CVP stellten sich Ständerät*innen und Nationalratsfraktion gegenseitig das Bein. Lieber keine Lösung als jene der Parteikolleg*innen im anderen Rat, war das christliche Motto. Ein Totalversagen. Zeuge fürs Totalversagen der CVP ist kein Geringerer als ihr Präsident. «Wir haben an dieser ausserordentlichen Session in der Frage der Mieten schlecht gearbeitet», musste sogar Präsident Gerhard Pfister am 10. Mai gegenüber CH Media eingestehen. Und versprach Besserung. So kam immerhin im Juni eine Motion in beiden Räten durch. Aber das war leider nicht der Anfang der Lösung, sondern der Anfang vom Ende. Denn die Rechtskommission des Nationalrats will mit vierzehn zu elf Stimmen die Lösung beerdigen. Gar nicht drauf eintreten. In der Minderheit fürs Eintreten: GRÜNE, SP, glp. Und niemand von der CVP.

Das Einzige, was für die CVP offenbar Priorität hat, ist der Aufschub des eigenen Untergangs durch Fusionspläne. Den eigenen Anspruch, als Lösungspartei der Mitte konstruktiv Politik zu machen, hat die CVP erneut verraten. Das ist bitter, bitter für alle KMU, die als Geschäftsmieter in der zweiten Welle vor neuen finanziellen Herausforderungen stehen und nun endlich wenigstens eine Lösung für den ersten Lockdown gebraucht hätten.

Profilieren wir uns, wir GRÜNE, als Partei der Lösungen – im Gegensatz zu einer CVP, die zwar vom Mythos lebt, Lösungen zu bringen, zumindest Mehrheiten für die eine oder andere Seite im Rat – aber in Tat und Wahrheit unterdessen gegen sich selbst Slalom fährt und brutal einfädelt. Mit immensem Kollateralschaden für das Gewerbe und seine Angestellten.

Dabei braucht es Lösungen. Denn die Pandemie ist noch nicht überwunden. Ganz im Gegenteil. Wir sind nun brutal in der zweiten Welle. Und wir wissen nun leider:

Die Gesundheitskrise und damit auch die ökonomische Krise werden nicht einfach wieder vorbei sein. Sie drohen, sich über den Winter allenfalls noch zu verschlimmern. Die Covid-19-Krise führt – mit oder ohne zweiten landesweiten Lockdown – zu steigender Kurzarbeit und zu zunehmenden Firmenkonkursen und Arbeitslosigkeit. Während unsere Nachbarländer reihum ambitionierte Konjunkturprogramme verabschieden, lehnt der Bundesrat zukunftsweisende Impulsprogramme weiterhin ab. Das ist unverantwortlich. Unsere Regierung nimmt damit leichtsinnig eine Konkurs- und Entlassungswelle sowie einen weiteren Anstieg von Arbeitslosigkeit und sozialer Ungleichheit in Kauf.

Es ist unsere Aufgabe als GRÜNE, allen Menschen, die von Ertragsausfällen und Arbeitslosigkeit betroffen sind, eine neue Perspektive zu ermöglichen. Nur so kann die Akzeptanz der epidemiologisch begründeten Massnahmen aufrechterhalten werden. Gleichzeitig bleibt die Klimakrise weiterhin ungelöst. Die Investitionen zur Bewältigung der Covid-19-Krise müssend darum zugleich eine Investition in eine grüne und soziale Zukunft sein.

Wir GRÜNE wollen auch in der zweiten Covid-Welle eine soziale Abfederung der Krise sicherstellen, die beschäftigungswirksam ist und die gleichzeitig die Transformation hin zu einer grünen Wirtschaft beschleunigt. Dazu soll ein 3-Punkte-Plan rasch umgesetzt werden.

Es darf nicht nochmals 1,88 Milliarden Franken geben spezifisch für die Flugbranche – und das ohne verbindliche Klimatransformation – sondern wir müssen soziale Sicherung, Jobs mit Zukunft und Klimagerechtigkeit zusammendenken!

Darum schlage ich heute ein grünes und soziales Impulsprogramm mit drei Säulen vor:

  1. Wir können die Energiewende mit einer Solarstromoffensive pushen
  2. Umschulung und Weiterbildung für Zukunftschancen
  3. Care-Offensive in der Pflege und in der Kinderbetreuung

Erstens: Die Schweiz muss die Förderung von erneuerbaren Energien mindestens verdoppeln, damit wir spätestens 2035 eine 100 Prozent erneuerbare Stromversorgung haben.

Zweitens: Menschen, vor allem in Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, brauchen eine Aus- und Weiterbildungsoffensive. Sie sollen Unterstützung erhalten, um die Zeit ohne Erwerbsarbeit intensiver dafür zu nutzen, neue Perspektiven zu erhalten und sich für die Arbeitsplätze der Zukunft vorzubereiten.

Drittens: Wir brauchen eine Care-Offensive als Antwort auf den ausgewiesenen Fachkräftemangel im Bereich der Pflege und der Kinderbetreuung.

Zum Ersten: Eine Solarstrom-Offensive soll die Bremsen lösen beim Ökostrom-Zubau!

Bis spätestens 2035 soll die Stromversorgung 100 Prozent erneuerbar sein. Ergänzend zur Wasserkraft soll künftig ein Drittel des Strombedarfs durch Photovoltaikanlagen produziert werden. Dazu kommen Wind-, Biomasse-, Geothermie- und Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen. Die Nachfrage gerade im Solarbereich ist vorhanden. Viele Projekte sind ganz konkret umsetzungsbereit, die Realisierung scheitert jedoch an den zu geringen Fördergeldern. Wir GRÜNE fordern: Stau weg beim Solarstrom! Um die bestehende Warteliste von umsetzungsbereiten Projekten rasch abzubauen und um Anreize für neue Projekte zu schaffen, muss die Förderung im Rahmen eines Impulsprogramms mindestens verdoppelt werden. Dafür braucht es zusätzlich mindestens 1,3 Milliarden Franken pro Jahr.

Das schafft auch zehntausende Arbeitsplätze und zwar auch für Arbeitnehmer*innen, die weniger gut qualifiziert sind und darum heute besonders betroffen sind von der Arbeitslosigkeit!

Zum Zweiten: Mit einer Weiterbildungsoffensive reichen wir den Menschen in der Transformation als Gesellschaft die Hand.

Diese Krise wird Arbeitsplätze vernichten. Gegenüber dem Vorjahr hat die Anzahl der Arbeitslosen um 50‘000 zugenommen. Derzeit (Stand: September 2020) sind rund 150‘000 Personen als arbeitslos gemeldet. Wir müssen diese Menschen unterstützen, konkret mit Weiterbildungen und Umschulungen. Ein bewährtes Mittel dazu sind Ausbildungsgutscheine. Dadurch werden Zukunftsperspektiven geschaffen, insbesondere für Angestellte in Branchen, die einem raschen Strukturwandel unterliegen, und die – auch aus Klimaschutzgründen – einem raschen Strukturwandel unterliegen müssen, wie zum Beispiel in der Luftfahrt.

Zum Dritten: Starten wir jetzt eine Care-Offensive.

Trotz steigender allgemeiner Arbeitslosigkeit herrscht gerade in zwei zentralen Bereichen noch immer ein akuter Fachkräftemangel.
Es herrscht Fachkräftemangel im Pflegebereich. Bis ins Jahr 2030 braucht es gegen 65’000 zusätzliche Pflegende, wie der Versorgungsbericht der GDK und der OdASanté schon vor zwei Jahren aufzeigte. Trotzdem: Nur 50 Prozent des Pflegepersonals, welches in der Schweiz benötigt wird, wird hier ausgebildet und rund die Hälfte des ausgebildeten Pflegepersonals steigt während dem Erwerbsleben wieder aus dem Beruf aus.

Aber auch bei der familienergänzenden Kinderbetreuung herrscht massiv Fachkräftemangel, das Angebot reicht bei Weitem noch nicht aus, um die Betreuungsnachfrage zu decken. Und die Arbeitsbedingungen sind oft prekär.

Verantwortlich für den doppelten Care-Notstand sind nicht nur die mangelnde Ausbildungsunterstützung, sondern auch die unattraktiven Arbeitsbedingungen, bei der Pflege wie bei der familienergänzenden Kinderbetreuung.

Die Lösung der GRÜNEN hier ist eine Care-Offensive in der Höhe von je einer Milliarde Franken für den Pflegebereich und für die familienergänzende Kinderbetreuung.

Schaffen wir in der Krise grüne und soziale Lösungen:

  • Mit einer Solaroffensive für neue Klimaschutz-Jobs;
  • Mit einer Bildungsoffensive, damit die Transformation der Wirtschaft zum Nutzen und nicht zum Schaden der Menschen vonstattengeht;
  • Mit einer Care-Offensive: weil gute Kinderbetreuung und anständige Arbeitsbedingungen für die Pflege systemrelevant sind.

Klimaschutz-Jobs. Zukunfts-Jobs. Care-Jobs.

Das sind die Lösungen.

Mit euch zusammen erkämpfen wir die Mehrheiten dafür!

Danke.

Präsidialrede (PDF)