Schon immer dachte und handelte ich politisch: Als ich bei meiner Volljährigkeit nicht an die Jungbürgerfeier eingeladen wurde, reklamierte ich – man vertröstete mich auf die nächste Abstimmung. Und tatsächlich: Am 7. Februar 1971 wurde endlich auch in der Schweiz das Frauenstimmrecht angenommen. Trotzdem nervte mich, dass Frauen in politischen Gremien weiterhin nur marginal vertreten waren.  

In den Achtzigerjahren wurde ich Mitglied der Grünen Liste M.U.T. in der Stadt St. Gallen und unterstützte die Liste ab und zu mit einer Spende. Und schon wurde ich angefragt, ob ich nicht als «Füllerin» auf die Liste für das Gemeindeparlament kommen wolle. Eine Wahl sei praktisch ausgeschlossen. Ich sagte zu – und wurde 1987 prompt mit vier Kolleg*innen gewählt. 

Vier Jahre später machte ich einen nächsten Schritt: Eine junge Crew plante die Nationalratskampagne und wollte klar eine Frau ins nationale Parlament bringen. Tatsächlich klappte es, ich holte den ersten grünen St. Galler Nationalratssitz. Das war ein Sprung ins kalte Wasser, aber so lernt man bekanntlich schwimmen.  

Friedenspolitik war mir immer ein grosses Anliegen: Als Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission kämpfte ich – leider erfolglos – gegen den Bau des Waffenplatzes Neuchlen-Anschwilen. Noch nicht durchgesetzt hat sich auch meine damalige Forderung, die Schweiz müsse sich neben dem Armeeleitbild auch ein Friedensleitbild geben. Punkto Militärvorlagen war damals die Position der GRÜNEN klar: Nein, nein, nein. Denn es gibt definitiv sinnvollere Aufgaben. 

Langer Schnauf für grüne Ziele 
Als ehemalige Freiwillige während dreier Jahre in Papua-Neuguinea waren mir auch im Nationalrat die internationalen Themen wichtig. So initiierte ich, dass die Machenschaften der Schweiz in Südafrika während der Apartheid aufgearbeitet wurden. In der Innenpolitik hingegen setzte ich mich  beispielsweise konsequent zur Wehr gegen neue Strassen. Denn neue Strassen bedeuten mehr Verkehr – das ist auch heute noch so.  

Die Herausforderungen und Aktivitäten als GRÜNE waren für mich und die anderen Aktiven und Parlamentarier*innen fordernd, aber auch lustvoll. So ist es ein gutes Gefühl, festzustellen, dass mein heutiger Einsatz bei den Klimaseniorinnen etwas bringt. Wohin meine persönliche Reise auch immer führt, eines Tages wird das Geld, das ich den GRÜNEN testamentarisch vermacht habe, weiterwirken. Dieser Gedanke erfüllt mich mit Freude. Denn die GRÜNEN verfolgen auch in Zukunft die politischen Ziele, die mir am Herzen liegen. Es braucht einen langen Schnauf – im Interesse der Umwelt, der Solidarität mit dem Globalen Süden und der Gleichstellung. 

Pia Hollenstein
Nationalrätin St. Gallen 1991 bis 2005